Flanier durch TrierMuseumsstadt

Tell Me Everything!

Tell Me Everything!

Premiere im Trierer Stadtmuseum: Bei Anruf Kultur macht den Museumsbesuch von zuhause aus möglich

 

Die Situation ist ziemlich ungewohnt. Ich sitze zuhause auf dem Sofa, habe mein Telefon in der Hand, und weiß gar nicht so recht, was mich erwartet. Vor mir liegt eine Museumsführung durch die aktuelle Ausstellung ‚Tell Me More‘ des Stadtmuseums Simeonstift. Für die Führung werde ich mein Sofa allerdings nicht verlassen. Das Projekt ‚Bei Anruf Kultur‘ macht’s möglich. Per Telefon führt ein professioneller Guide Kunstinteressierte eine Stunde lang durch die Ausstellung. Das barrierefreie Angebot richtet sich an Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht ins Museum kommen oder Inhalte einer Führung visuell nicht erfassen können. Telefonisch wird so u. a. Menschen mit Sehbehinderungen oder mobilen Einschränkungen ein direkter Zugang zu Kunst, Kultur und Geschichte ermöglicht. Die Idee überzeugt mich sofort, aber so richtig vorstellen kann ich mir eine rein akustische Museumstour nicht.

Alexandra Orth, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Stadtmuseum, leitet die telefonische Führung. Es ist das erste Mal, dass das Museum an dem Projekt teilnimmt. Das merkt man aber nur in den ersten Minuten. Auch für erfahrene Museumsführerinnen ist es scheinbar ungewohnt, eine Tour in vermeintlicher Leere zu starten – zu Beginn sind die Zuhörenden nämlich stummgeschaltet. Die Führung beginnt, anders als von mir erwartet, nicht mit einer Bildbeschreibung. Alexandra Orth veranschaulicht stattdessen zunächst den spätnachmittäglichen Museumsraum, indem sie sich live durch die Ausstellung bewegt. Dr. Dorothée Henschel, die im Stadtmuseum für den Bereich Kulturelle Bildung zuständig ist, erklärt dazu: „Man muss auch beschreiben, wie der Ort aussieht und wie man sich darin bewegt, damit man ein Gefühl für den Ort bekommt. Es ist kein Erzählen, wie man zum Beispiel aus einem Buch vorliest, in dem auch Bilder sind, sondern man versucht, Zusammenhänge im Raum zu erläutern: Wo befinden wir uns? Wie stehen die Objekte im Zusammenhang? Wie kommunizieren auch die Objekte miteinander?“

 

© TTM / Christian Millen

An diesem Nachmittag ist der Ausstellungstitel ‚Tell me More‘ eine Untertreibung. Den Zuhörenden wird nicht mehr, sondern alles erzählt. Porträts bilden die erste Station der Führung. Alexandra Orth beschreibt, dass es sich im Raum anfühlt, als würde man von vielen verschiedenen Augen zugleich angeschaut. Mit bildstarker und adjektivreicher Rhetorik beschreibt sie das beinahe lebensgroße Porträt einer Frau aus dem Jahr 1628. Während ich mir dabei vorstelle, wie das Bild wohl aussieht, wünsche ich mir weniger, es einmal im Original zu sehen, als vielmehr die unterschiedlichen Gedankenbilder zu vergleichen, die sich meine Mitzuhörenden gerade ausmalen. Die Führung geht weiter und streift dabei verschiedene Bildgattungen. Orth betont das Humorvolle und Eigentümliche der Bilder und es macht Spaß, der eigenen Fantasie freien Lauf zu lassen. Hinzu kommt, dass das Thema der Ausstellung perfekt zum Konzept der Telefonführung passt. ‚Tell Me More‘ stellt die Fähigkeit von Bildern zur Schau, Geschichten zu erzählen. Dabei kommen die Exponate teilweise sogar selbst zum Sprechen: Immer wieder werden die Bilder von Audioaufnahmen begleitet, die der Darstellung eine Geräuschkulisse leihen. Porträts erhalten so Stimmen und belebte Szenen werden lautstark untermalt. Vor Ort ist die Ausstellung außerdem ein interaktives Erlebnis. Hands-On-Stationen laden ein, das Museum mit allen Sinnen zu erfahren. Vor der Telefonführung frage ich mich, wie sich diese Komponente wohl rein sprachlich vermitteln lässt. Alexandra Orth stellt sich der Herausforderung und wird selbst aktiv, beschreibt, was man machen kann, wie es sich anfühlt und welche Assoziationen dabei aufkommen. Besonders eindrücklich ist dabei das Beispiel eines taktilen Farbkreises, der Farben tastbar machen soll. Das kleine haptische Tool unterstützt sehbehinderte Menschen dabei, sich auch abstrakten Kunstwerken, die nur aus Farben und Formen bestehen, zu nähern.

 

© Stadtmuseum Simeonstift Trier

Die einstündige Führung endet in einer angeregten Diskussionsrunde unter den Teilnehmenden. Als ich im Anschluss das Telefon auflege, bin ich doppelt begeistert: Von dem Projekt ‚Bei Anruf Kultur‘ und dem Konzept der Ausstellung ‚Tell Me More.‘ Die Erfahrung hat Lust gemacht, noch weitere Museen auf diese Weise zu erleben – gerade solche, die weit entfernt und damit schwer erreichbar sind. Das Angebot eignet sich für alle Kunstbegeisterten – und so wurde es auch konzipiert. ‚Bei Anruf Kultur‘ ist durch eine Kooperation des Blinden- und Sehbehindertenvereins Hamburg (BSVH) und verschiedenen Hamburger Museen und Kunstvermittlern während der Corona-Pandemie entstanden, um Museen auch remote, per Telefon, erlebbar zu machen. Das Stadtmuseum hat in diesem Februar zum ersten Mal an dem Projekt teilgenommen, aber schon jetzt steht fest: Es wird künftig weitere Angebote dieser Art geben.

2023 hat Trier als erste Stadt in Rheinland-Pfalz die Ortszertifizierung ‚Reisen für Alle‘, die bundesweit gültige Kennzeichnung im Bereich Barrierefreiheit, erhalten. Im Idealfall trägt Barrierefreiheit dazu bei, dass Angebote entstehen, die allen den Alltag erleichtern – so wie ‚Bei Anruf Kultur.‘ Trier bietet darüber hinaus auch ein breites Spektrum regelmäßiger barrierefreier Führungen an, die vom Stadtrundgang I ‚Von der Porta Nigra bis zum Kurfürstlichen Palais’ über die Erlebnis-Show ‚Die letzte Schlacht um Rom‘ in der Pauluskirche bis zur Schatzkammer der Wissenschaftlichen Bibliothek reichen. Alle Informationen zu diesen und vielen weiteren barrierefreien Angeboten finden Interessierte unter www.reisen-fuer-alle.de oder auf der Webseite der TTM: www.trier-info.de/barrierefrei/zertifizierte-angebote. Weitere Informationen gibt es außerdem unter www.beianrufkultur.de und https://museum-trier.de/ausstellungen/sonderausstellungen/tell-me-more-bilder-erzaehlen-geschichten/ (noch bis zum 2. Juni 2024 geöffnet).

 

 

‘Bei Anruf Kultur’ ermöglicht den Museumsbesuch von zuhause aus. Die Ausstellung ‘Tell Me More’ im Stadtmuseum wird so zum barrierefreien Hörerlebnis.

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Ursprünglich aus Trier, konnte ich mich während mehrerer Jahre Abwesenheit und Stationen im In- und Ausland davon überzeugen, dass es sich in der Heimat doch sehr gut leben lässt. Zum Bleiben haben mich, neben dem Riesling, u. a. auch die regionalen Wandermöglichkeiten, vor allem in Eifel und Luxemburger Schweiz, sowie die geniale Nähe zu Frankreich bewegt.

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