Im Schatten des Doms, gleich beim „3-Finger-Joe“, schläft einer der stattlichsten Trierer Bürgerhöfe des Mittelalters seinen Dornröschenschlaf. Rein kommt man nicht, aber auch die Außenmauern erzählen von großen Zeiten.
Zeitreise ins 13. Jahrhundert
Wenn ihr auf dem Parkplatz an der Rindertanzstraße steht, fällt die weiße Wand mit den vielen unterschiedlichen Fenstern auf: Das ist das Haus Fetzenreich. 1268 wird es zum ersten Mal in einer Trierer Urkunde erwähnt. Damals wohnt hier Bonifatius der Ältere – Nachname unbekannt. Aber dass er Schöffe war, wissen wir. Das heißt, er saß im höchsten Gremium der mittelalterlichen Stadt, einer Art Stadtrat mit Gerichtsfunktion. Damit gehörte er zu den bedeutendsten Familien im hochmittelalterlichen Trier, und sicher nicht zu den ärmsten. Geerbt hat er das Haus von seinem Vater, der ebenfalls Bonifatius hieß. Verwirrend, ist aber so. Dieser noch ältere Bonifatius hat das Anwesen wohl am Anfang des 13. Jahrhunderts gekauft oder gebaut.
Damals wird es in Urkunden „ad coronam auream“ genannt, „Zur goldenen Krone“. Das kennt ihr heute noch von Gasthäusern: Über der Tür hängt ein Schild mit einem Ochsen, einer Glocke oder einem Schwan – ebenso, wie der Gasthof heißt. Dieses Hauszeichen war im Mittelalter der Ersatz für eine Hausnummer. Und beim Haus von Bonifatius – Vater und Sohn – war es offenbar eine goldene Krone. Vielleicht wird der Vater auch deshalb in Urkunden „Bonifatius Rex“ genannt – der König. Vielleicht – und das ist wahrscheinlich – sagt es aber auch etwas über seinen sozialen Status in der damaligen Stadt.
Das „große Haus in der Flanderngasse“
Schaut euch noch mal die Wand am Parkplatz genau an. Ihr seht, dass sie in drei Abschnitte unterteilt ist: einer links, einer in der Mitte mit dem tollen großen Fenster und ein dritter, größerer Gebäudeteil rechts. Jetzt schaut euch den Teil ganz links an: Das ist das alte Haus „Zur Goldenen Krone“, in dem die Bonifatiusse ursprünglich gelebt haben. Den mittleren Teil kauft Bonifatius der Ältere (der ja eigentlich der Jüngere ist – keiner hat gesagt, Mittelalter wäre einfach) 1272 dazu. Damit besitzt er eine der größten bürgerlichen Wohnanlagen der mittelalterlichen Stadt, zu der man sich auch noch Ställe, Wagenremisen, Werkstätten, eine Küche und andere Wirtschaftsräume rund um den großen Hof entlang der Sichelstraße vorstellen muss. Erhalten sind davon die hohen gewölbten Kelleranlagen und die gotischen Räume im Inneren. Vom Parkplatz aus seht ihr das Spitzbogenfenster links unten im mittleren Gebäudeteil: das stammt aus dieser Zeit.
Die verlorene Innenausstattung muss man sich zumindest äußerst komfortabel vorstellen. Denn wie gesagt: Hier lebte nicht irgendjemand. Tatsächlich wird die Anlage im 14. Jahrhundert als „Domus Magna in Vicus Flandriae“ genannt – das große Haus in der Flanderngasse. Da schwingt Bewunderung mit, vielleicht sogar etwas Neid. Auf jeden Fall aber die Aussage, dass es sich um ein besonders großes und beeindruckendes Haus gehandelt hat. Und das in einer damals durchaus repräsentativen Lage: Gleich gegenüber dem Tor zur Domstadt in der Gasse „Sieh um dich“, nur ein paar Schritte von der Simeonstraße entfernt, und über die heutige Rindertanzstraße mit quasi direktem Zugang zum Stadttor an der Porta Nigra.
Und warum Fetzenreich?
Moment mal: Großes Haus in der Flanderngasse? Die ist doch ein Stück weiter weg? Ja, heute. Zur Zeit der Bonifatiusse im 13. Jahrhundert hieß noch der gesamte Bering von Rindertanz- und Glockenstraße „Flanderngasse.“ Vielleicht ist das sogar ein Hinweis auf die Quelle des Reichtums der Familie im Haus „Zur goldenen Krone“. In Flandern – also im heutigen Belgien – wurden nämlich damals die besten Stoffe Europas hergestellt und von dort in alle Städte transportiert. Möglicherweise lebten im Trierer Flandern-Bezirk also bevorzugt Händler*innen oder Verarbeiter*innen dieser Stoffe aus Flandern. Und unsere Bonifatiusse könnten die bedeutendsten und reichsten von ihnen gewesen sein. Und woher kommt jetzt der Name Fetzenreich? Nun, wahrscheinlich genau daher. Fetzo war tatsächlich eine übliche mittelalterliche Abkürzung von Bonifatius. Und zwei reiche Fetzos machen schnell ein Fetzenreich. Überliefert ist der Name übrigens zum ersten Mal 1592.
Fetzos gehen – Mönche kommen
Noch weitere hundert Jahre bleibt die stattliche Wohnanlage bis auf kürzere Unterbrechungen im Besitz der Familie. Dann steht sie 1408 zum Verkauf, und die Mönche der reichen Abtei St. Maximin vor den Toren der Stadt schlagen zu: Sie sichern sich die repräsentative Hofanlage der reichen Fetzos und machen daraus ihre Dependance in der Stadt. Das war eine Art Botschaft der Abtei, in der die Mönche gleichzeitig in unruhigen Zeiten Schutz suchen konnten. Bis zur Auflösung des Klosters 1803 haben die Maximiner Mönche hier gelebt, gebaut, erweitert und geschmückt. Auch davon sind heute nur noch Reste erhalten. Einen der tollsten seht ihr direkt vom Parkplatz aus: das große Fenster im mittleren Teil. Es stammt aus der Zeit um 1530 – schon halb Renaissance, der Schmuck oben ist aber noch gotisch. Eines der schönsten dieser Zeit weit und breit.
Quelle: Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz, Bd. 17.1 „Stadt Trier“, Worms, 2001