Im Porträt

„Ich bin ein Sklave des Künstlers“

„Ich bin ein Sklave des Künstlers“

Seit fast 15 Jahren restauriert Dimitri Scher in Trier Gemälde und Skulpturen – für Privatsammler, vor allem aber für das Stadtmuseum Simeonstift. Die aktuelle Ausstellung „Eine Gemäldegalerie für Trier“ (bis 24. April 2021) hat ihn besonders herausgefordert. Aber auch in der kommenden Weihnachtsausstellung „O Tannenbaum“ sind einige „seiner“ Arbeiten zu sehen. Auch wenn er selbst diese Formulierung sofort bestreiten würde.

Das Licht wird vom Großvater an den Enkel weitergegeben – das Bild von Krevel zählt zu den Lieblingsbildern von Restaurator Dimitri Scher. © Kathrin Koutrakos / Stadtmuseum Simeonstift

Louis Krevel und Dimitri Scher pflegen seit einiger Zeit eine sehr innige Beziehung zueinander – und das, wie es sich laut einem alten Klischee für Künstler gehört, in aller Öffentlichkeit. Dabei sind nicht die innigen Blicke, die sich zuwerfen, das, was Museumsbesucher teilweise erstaunt. Es ist vielmehr die Tatsache, dass einer der beiden dem anderen mit einem Wattestäbchen über die Nase streicht, mit einer Lupe seine Hautstruktur untersucht und mit einem Pinsel sein Gesicht säubert. Zumindest dessen linke Seite. Die rechte bleibt hingegen unter ihrer Patina aus Schmutz und verdunkelter Firnis verborgen.

Deshalb trage ich ja auch einen weißen Kittel, weil meine Arbeit wie die eines Arztes ist.

Dimitri Scher

Louis Krevel wird es nicht stören. Schließlich ist der 1801 geborene Künstler, ein bedeutender Porträtmaler der Biedermeierzeit in der Saar-Mosel-Region, schon lange tot. Gereinigt wird daher auch nur sein um 1865 geschaffenes Selbstporträt. Wenn auch nur zur Hälfte. Ein für Dimitri Scher ungewohntes Vorgehen, doch nur so kann der Betrachter nachempfinden, was ein Restaurator eigentlich in seiner „Klosterruhe“, wie er sie selbst nennt, tut. Denn auch vieles, was im Depot ruht, ist bei der Planung einer neuen Ausstellung weit davon entfernt, einfach nur an die Wand gehängt oder auf einen Sockel gestellt zu werden. Schmutz aus Jahrhunderten, Dellen, Kratzer, Holzwurmlöcher oder andere Zerstörungen – sie alle muss Dimitri Scher zum Verschwinden bringen. „Deshalb trage ich ja auch einen weißen Kittel“, lacht er, „weil meine Arbeit wie die eines Arztes ist: Ich muss jedes Kunstobjekt erst einmal gründlich untersuchen, beispielsweise mit einer Lupe, Streif- oder UV-Licht, und dann meine Diagnose stellen.“

In der aktuellen Sonderausstellung „Eine Gemäldegalerie für Trier“ kann man Dimitri Scher beim Restaurieren über die Schulter sehen. © Kathrin Koutrakos / Stadtmuseum Simeonstift

Ob Rembrandt oder röhrender Hirsch – alles hat seinen (ideellen) Wert

Und noch etwas verbindet seine Arbeit mit der eines Mediziners: Nicht jede Diagnose gefällt seinem Gegenüber. Schon manches Mal musste er stolze Bildbesitzer enttäuschen, weil es sich bei ihren Schätzen eben doch nicht um Raritäten handelte, das vermeintliche Original ein Druck, das echte Silberservice nur versilbert war. „Aber Dimitri bringt das immer so zugewandt an den Mann oder die Frau, dass niemand verletzt wird“, betont Kathrin Koutrakos, Pressesprecherin des Stadtmuseums, die für die mittlerweile schon fest etablierte „Kunstsprechstunde“ mit Dimitri Scher schon gar keine Werbung mehr machen muss, bei der jeder seine heimischen Schätze ins Museum zum Begutachten bringen kann. Dass am Ende trotzdem alle zufrieden nach Hause gehen, liegt aber auch daran, dass der Restaurator jedes Objekt mit der gleichen Demut betrachtet. „Kunstwerke mögen manchmal von geringem materiellen Wert sein“, weiß er, „aber ihren ideellen Wert kann niemand beziffern. Und deshalb: Egal, ob ich einen Rembrandt oder einen röhrenden Hirschen aus einer Kaufhaus-Abteilung vor mir habe, ich behandele jedes Stück so, wie ich es mir selbst gewünscht hätte.“

Wie ein Arzt untersucht Dimitri Scher vor der Restaurierung die Gemälde. © Kathrin Koutrakos / Stadtmuseum Simeonstift

Diese Ruhe hat Dimitri Scher bereits in die Wiege gelegt bekommen, die 1959 im damals zur Sowjetunion gehörenden Taschkent in Usbekistan aufgestellt war. Bereits sein Vater hatte als Maler und Restaurator sein Geld verdient; sein Atelier war ein Treffpunkt der lokalen Sammler und Kunstexperten, die mit Vater Scher regelmäßig am Tisch saßen und bei einem guten Fläschchen Kunst begutachteten und darüber diskutierten. Mitten unter ihnen: der kleine Dimitri. „Für mich war das Terpentinöl wie Muttermilch“, schmunzelt er noch heute, „und diese kleine Insel spezieller Menschen war mein Schicksal.“

Trier – für Dimitri Scher Liebe auf den ersten Blick

So studierte er zunächst Restaurierung, dann Kunstgeschichte, machte 1992, nach der Perestroika, ein Antiquitätengeschäft in Taschkent auf und organisierte die erste Kunstauktion in ganz Usbekistan, für die man hinter dem eisernen Vorhang, so erinnert er sich, noch schief angeschaut worden wäre. Trotzdem zwangen ihn die schwierigen politischen Verhältnisse nur sieben Jahre später zur Ausreise, für die er und seine Frau fast alles zurück ließen, was sie in Usbekistan besessen hatten. Mit ihrer Tochter und zwei Koffern kamen sie 1999 zunächst nach Speyer, lernten schnell die deutsche Sprache und integrierten sich. „Wir sind nach Deutschland gekommen, um hier zu leben, nicht um zu verweilen“, erinnert er sich. „Wir hätten auch in die USA, nach Israel oder Russland gehen können, aber wir wollten die reiche, europäische Kultur.“

Was wir hier sehen, ist unsere Kunst.

Dimitri Scher

Die fand er jedoch auf die für ihn ideale Weise erst 2007, als er begann, in Trier für die Konstantin-Ausstellung zu arbeiten. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, betont Dimitri Scher heute. „Ich bin zu Beginn jeden Abend mit staunenden Augen durch die Stadt gelaufen.“ Seit dieser Zeit ist der freie Restaurator vielem treu geblieben: Trier, dem Stadtmuseum Simeonstift und seiner Liebe für die Kunstschätze der Stadt, die zu seinem Bedauern vielfach ungesehen bleiben. Auch deshalb hat die Sonderausstellung „Eine Gemäldegalerie für Trier“ für ihn so eine besondere Bedeutung. „Hier zeigen wir unsere eigenen Schätze, vieles, was sonst im Depot schlummert, und für das wir uns diesmal Zeit und Raum nehmen, Kunstobjekte, die jedem Bürger und jeder Bürgerin Triers gehören. Was wir hier sehen, ist unsere Kunst“, schwärmt er, wohl wissend, dass trotz dieser Ausstellung viele Werke noch immer ungesehen bleiben und weiterhin auf ihre Restaurierung warten. Nicht nur Louis Krevel, dessen rechte Gesichtshälfte noch zu reinigen ist, sondern auch die rund 50 Gemälde aus dem überschwemmten Ahrweiler, denen das Stadtmuseum eine Interimsheimat bietet. Da hier teilweise noch das Wasser aus der Folie lief, als sie in Trier ankamen, wird er hier besonders schnell tätig werden müssen.

Der Ehrenkodex des Restaurators – eine Mammutaufgabe

Der Restaurator ist auch für die Reinigung des Stadtmodells verantwortlich – eine Mammutaufgabe. © Kathrin Koutrakos / Stadtmuseum Simeonstift

Und trotzdem: Immer mehr Trierer Kunstobjekte – Schenkungen privater Sammler und Ankäufe aus Auktionen – erwachen durch ihn aus ihrem Dornröschenschlaf. Auch für die kommende Weihnachtsausstellung „O Tannenbaum“ hat er sich verschiedener Werke angenommen. Und wie so oft wird man seine Reinigung, seine Doublierung, seinen feinen Farbauftrag an manchen Stellen nicht wahrnehmen. Für ihn verwendet er übrigens keine Öl-, sondern wasserlösliche Farbe, um es späteren Generationen zu ermöglichen, jede nachträgliche Ausbesserung rückgängig zu machen. „Eine gute Restaurierung muss man mit Spucke wegwischen können, das ist eine Art Ehrenkodex.“ Ebenso wie es sein persönlicher Ehrenkodex ist, zweimal im Jahr alle Exponate der Dauerausstellung zu reinigen. Das Stadtmodell ist dabei eine besondere Mammutaufgabe, denn die Besucher bringen zu einem der beliebtesten Ausstellungsstücke des Stadtmuseums neben ihrer Begeisterung auch Staub, feinste Schmutzpartikel und Hautfasern mit. Von ihnen müssen alle Bauwerke und Häuser befreit werden, ehe Dimitri Scher sie mit Wachs aufpoliert und im Anschluss hunderte Bäume wieder per Hand ins Modell steckt – die er übrigens auch selbst zusammenbaut und lackiert. Ein guter Restaurator muss eben zu vielem eine besondere Beziehung haben.

Tipps:

  1. Einen Einblick in Dimitris Arbeit könnt ihr in der aktuellen Sonderausstellung „Eine Gemäldegalerie für Trier“ erhalten (noch bis 24. April 2022). Dort wartet das Selbstporträt von Louis Krevel im 2. Obergeschoss auf euch, und Dimitri zeigt in unregelmäßigen Abständen auch vor Ort, wie genau er arbeitet.
  2. Das Stadtmodell werdet ihr ab sofort sicherlich mit anderen Augen betrachten: Allein zwei Tage lang investiert Dimitri nur für die Reinigung dieses Riesenexponats. Übrigens: Wenn ihr an einer unserer Stadt- oder Erlebnisführungen teilnehmt, seht ihr das Modell für nur 1 Euro. Einfach Ticket an der Kasse vorzeigen!
  3. Die neue weihnachtliche Familienausstellung „O Tannenbaum“ ist vom 5. Dezember 2021 bis zum 23. Januar 2022 zu sehen. Auch dort sind einige von Dimitris Restaurierungswundern zu bestaunen. Freien Eintritt habt ihr hierzu, wenn ihr zuvor an unserem Nikolausrundgang teilnehmt. Am besten gleich Tickets sichern!
  4. In unserem Blog-Beitrag „Von der Idee bis zur Herzklopfphase – Wie eine Ausstellung entsteht“ könnt ihr noch mehr über die Arbeit hinter den Kulissen des Stadtmuseums Simeonstift erfahren.



Titelfoto: Kathrin Koutrakos / Stadtmuseum Simeonstift

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Paula redet gerne und viel. Mit sich, ihren Kindern, Katzen, Kollegen und Kumpel. Was sie dabei nicht unterbringt, schreibt sie nieder. Zur Entlastung und Belustigung ihrer Umwelt. Ob das gelingt? Darüber hüllt sich der Mantel des Schweigens. Zumindest so lange, bis Paula weiterredet.

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