Die Welt zu Gast in Trier – das kann unsere Stadt als beliebtes Tourismusziel Jahr für Jahr behaupten. Dass aber die Welten bei uns Station machen, das passiert 2022 zum ersten Mal. 50 Millionen Menschen sind rund um den Globus bereits in die „Körperwelten“ eingetaucht, jene Show mit menschlichen Plastinaten, die in den 90ern noch für viele Diskussionen sorgte, Stürme der Entrüstung losbrechen ließ und Philosophen, Religionsvertreter und Ethikräte auf den Plan rief. Noch immer sind die Ausstellungen nicht gänzlich unumstritten, auch wenn mittlerweile die zustimmende Faszination überwiegt. Doch wie sieht es in der kurzfristig neu errichteten Halle im Messepark wirklich aus? Eine Weltenreise.
Die Plastination: Ein kompliziertes Verfahren
Die Frage, was nach unserem Tod auf uns wartet, kennt viele Antworten – aber kaum eine konkrete. Das Jenseits kennen wir schließlich ebenso wenig wie das Nichts. 17.206 Deutsche bzw. 1047 Menschen aus Rheinland-Pfalz und 160 aus dem Saarland (Stand: März 2021) wussten oder wissen es aber ganz genau: Aus ihnen werden Plastinate. Sie haben sich beim Heidelberger Institut für Plastination registrieren lassen. Ob sie dabei Ganzkörperplastinat werden möchten oder nur Teile ihres Körpers zur Verfügung stellen, ob sie in einer Ausstellung zu sehen sein oder nur der wissenschaftlichen Forschung und Weiterbildung dienen möchten, das darf jeder Körperspender zu Lebzeiten genau festlegen. Und natürlich jederzeit widerrufen.
Wir lernen am Tod über das eigene Leben und erkennen uns selbst
Simon Klass
Rund 90% aller Spenderinnen und Spender kommen aus Deutschland, dem Land, in dem Gunther von Hagen 1977 die Plastination und damit seinen eigenen Berufsstand erfand. Dass er das von ihm entwickelte Verfahren nur kurz darauf patentieren lassen konnte, ist für den Laien schon allein durch die offensichtliche Komplexität erklärbar: Das entsprechende Präparat wird zunächst in Formalin fixiert, um den Verwesungsprozess zu stoppen. Mit Pinzette, Skalpell und Schere lösen die Plastinatoren Haut, Fett- und Bindegewebe, um die einzelnen anatomischen Strukturen freizulegen. Anschließend wird das Präparat zunächst in einem eiskalten Acetonbad entwässert, dann in einem warmen Acetonbad entfettet.
In einem vierten Schritt muss auch das Aceton weichen: Das Präparat wird in eine Kunststofflösung eingelegt und in eine Vakuumkammer gestellt. Das Vakuum saugt das Aceton heraus und lässt den Kunststoff bis in die letzte Zelle eindringen. Danach ist das Präparat noch biegsam: Gliedmaßen oder ganze Körper können in die entsprechende Haltung gebracht, ihre anatomische Struktur korrekt positioniert werden. Erst nach der Fixierung mit Drähten, Nadeln und Klammern wird das Präparat ausgehärtet.
Das Ziel: Die Weiterbildung von Laien und Experten
Rund 1500 Stunden dauert die Plastination eines ganzen Körpers. Die allermeisten Präparate, erklärt mir Simon Klass von der Livemacher GmbH, die die „Körperwelten“ in Trier organisieren, werden mittlerweile an Universitäten und medizinische Institute in der ganzen Welt verschickt, um insbesondere in der Lehre und Fortbildung eingesetzt zu werden. Nur ein Bruchteil kommt in die Dauerausstellungen in Berlin, Heidelberg und Amsterdam oder in eine der durch die ganze Welt reisenden Wechselausstellungen. Doch auch dort, betont Simon, gehe es letztlich immer um die medizinische Weiterbildung. „Wir lernen am Tod über das eigene Leben und erkennen uns selbst“, meint er. „Deshalb steht auch bei keinem unserer Plastinate ein Alter. Es soll abstrakt bleiben. Niemand soll zu sich selbst sagen können: ,Ach, soooo alt bin ich ja noch nicht!‘“
Schließlich, so betont Gunther von Hagen selbst, ginge es ja auch um gesundheitliche Aufklärung. „Im Plastinat erkennen wir uns selbst, unsere Verletzlichkeit und das Wunder, das wir sind. Diese körperliche Selbsterkenntnis entfacht ein neues, auf Gesundheit bedachtes Lebensgefühl, das unsere Herzen bewegt.“
Die Frage: Subjekt oder Objekt?
Schön und gut, aber: Sind die Plastinate dann am Ende des Tages in all ihrer Abstraktheit noch Ausstellungssubjekte? Oder nicht doch bloße Ausstellungsobjekte? Wer durch die weitläufige Halle im Messepark schlendert, kommt nicht umhin zu staunen: Über die Filigranität des freigelegten menschlichen Nervensystems, über die 35 Ölfässer am Eingang der Ausstellung, die jeweils 200 Liter umfassen und zusammen die Menge an Blut veranschaulichen, die das Herz allein im Ruhemodus täglich durch unseren Körper pumpt, über das Aussehen eines Herzens mit Herzschrittmacher oder die Muskelspannung eines Basketballspielers in Bewegung.
Dass dies alles echte Menschen sind und kein einziges Plastinat künstlichen Ursprungs ist, muss man sich als Besucher aber wieder klar machen. Vielleicht, weil nicht nur das Alter, sondern auch die äußere Individualität durch die Plastination verloren geht. Dass auch das menschliche Herz oder Gehirn höchst individuelle und von Mensch zu Mensch unterschiedlich ist, gehört ja eher zum anatomischen Fachwissen.
Unsere Spenderinnen und Spender waren lebende Menschen, die auch als solche erkennbar bleiben.
Simon Klass
Vielleicht aber auch, weil gerade die Ganzkörperplastinate stark inszeniert sind. Der nachdenkliche Schachspieler, die sich umarmenden Menschen, die zugleich zu tanzen scheinen (und sich zu Lebzeiten nicht gekannt haben dürften), die zum Teil aufgeklappten Schädel, Wirbelsäulen, Muskelstränge, aus denen die Strukturen herauszuschweben scheinen – all das hat mit einem menschlichen Körper, der aus den medizinischen Postern des Biologieunterrichts in die Dreidimensionalität gesprungen sein könnte, wenig zu tun. Allerdings hat jede Inszenierung ihre ethischen Grenzen, betont Simon. „Die menschliche Form darf nie verloren gehen. Unsere Spenderinnen und Spender waren lebende Menschen, die auch als solche erkennbar bleiben. Ihre Körper werden nie zweckentfremdet.“ Dass eine Hirnschale also zur Suppenschüssel umfunktioniert wird, ist ausgeschlossen.
Die Erleichterung: Der Flachlandgorilla und sein Bauchnabel
Fast ist man ein bisschen erleichtert, als am Ende des Rundgangs ein 1,85 Meter großer Flachlandgorilla als Vergleich zum Menschen den Abschluss bildet. Hier muss man endlich nicht mehr über die eigene Vergänglichkeit nachdenken. Und erfährt von Simon sogar noch einen kleinen Hingucker-Insidertipp. Denn auch wenn die Plastinate von allem Fett entkleidet sind und nichts mehr über die Statur des lebenden Körpers preisgeben, liefert der Bauchnabel doch einen kleinen Fingerzeig. Je weiter er vom Körper absteht, desto mehr Fettmasse war einst vorhanden. Na, da schaue ich doch gleich mal genauer hin. Und darf feststellen: Gertenschlank war der Gorilla nicht.
Man sollte es sich zu Lebzeiten eben auch ein bisschen gutgehen lassen. Die meisten von uns wissen schließlich nicht, was kommt.
Kurioses zum Schluss:
Herzklopfen: Im Laufe eines durchschnittlichen Lebens schlägt das Herz rund 3 Milliarden Mal. Entgegen der landläufigen Annahme aber nicht nur links. Bei einigen Menschen sind die Organe nämlich spiegelverkehrt im Körper angeordnet. Das Herz sitzt dann auf der rechten Seite. Dieses seltene Phänomen nennt sich Situs inversus.
Pfennigfuchser: 89% aller Körperspender*innen geben an, mit ihrer Spende einem guten Zweck dienen zu wollen. Die Beweggründe können aber auch deutlich pragmatischer sein: 53% möchten ihre Angehörige von der Grabpflege befreien, 31% die Beerdigungskosten sparen.
Harz im Nehmen: Neben der so genannten Gestaltplastination gibt es auch die Scheibenplastination. Dabei werden die Präparate tiefgefroren und in 3,5 mm dicke Scheiben gesägt. Nach der Entwässerung, Entfettung und eigentlichen Kunststoff-Imprägnierung werden die Gewebsscheiben zwischen Folie und/oder Glasscheiben gelegt. Diesen Vorgang nennt man „Scheibengießen“. Anders als bei Gestaltplastinaten sind die Exponate dann nicht mit Silikonkautschuk durchtränkt, sondern mit Epoxidharz.