Nicht Candlelight, nein: Kerzenschein!

Umgeben von Kerzenwachs und Weihrauchduft Frank P. Meyer ein Traditionshandwerk mit Seltenheitswert kennengelernt. Mitten in der Thebäerstraße in Trier Nord durfte er einen Blick Hinter die Kulissen der Kerzenmanufaktur Hamacher werden und dort in die Welt des Wachses eintauchen.

Also ich kaufe meine Kerzen ja ausschließlich bei Hamacher. Aber der Reihe nach: Neulich fragte mich mein Kumpel, der Backes Herrmann, der frisch verliebt ist und ein romantisches Candlelight-Dinner plant, ob ich ihm ein paar Kerzen mitbringen könne. „Ich muss aber gar nicht nach Ikea oder Aldi“, antworte ich ihm in perfektem Aldi- und Ikea-Deutsch. Herrmann ist entrüstet: „Wie bitte! Kerzen kauft man doch lokal, in der Thebäerstraße, bei Wachswaren Hamacher. Und wenn du schon mal dort bist, bring mir gleich auch ein Päckchen Weihrauch mit. Ich nehme die Sorte ‚Oman‘.“ Der Backes Herrmann verblüfft mich immer wieder.

Schon der kunstvoll gestaltete Torbogen zur Kerzenfabrik macht neugierig auf das, was sich dahinter verbirgt.

Normalerweise ist Shopping für mich eine Notwendigkeit und kein ‚Event-Gefühl‘. Beim Kerzenkauf ist das jetzt anders: Ich durchschreite den Torbogen zur Trierer Kerzenmanufaktur … und betrete das 19. Jahrhundert. Seit 1810 gibt es die Kerzenfabrik Hamacher, und manche der Produktionsmaschinen machen den Eindruck, als hätten sie schon das eine oder andere Jahrhundert auf dem Buckel. Ich kann das sagen, denn ich hatte das Glück, neulich einen Blick in die Werkstatt werfen zu dürfen. Ich soll, wie gesagt, für Herrmann ein Packung ‚Allerwelt-Kerzen‘ kaufen. Dazu steige ich eine Treppe hoch in ein Kerzenmuseum, zumindest ist das mein Eindruck, als ich das wundervolle Verkaufskontor betrete. Anders aber als z.B. im Freilichtmuseum Konz, ist das hier ein lebendiger Betrieb, mit echtem Personal, das alles andere ist als museal. Ich sehe mir die Oster- und Kommunionskerzen, Hochzeits-, Geburts- und die alltäglichen Gebrauchskerzen an und frage ungläubig: „Die haben Sie doch nicht alle selber handgemacht?“

Das lässt Hamacher Junior nicht auf sich sitzen und zeigt mir die Kerzenziehmaschine, die seit etwa einem Dreiviertel-Jahrhundert hier ihren Dienst tut. Bis zu 400 Meter Kerzen vom Kaliber 28mm sind hier gerade vorhin noch hergestellt worden, indem die auf große Spulen gewickelten Dochte durch flüssiges Wachs gezogen wurden. Apropos Kerzenzieher: Ihre Sprösslinge wissen noch nicht, welchen Beruf sie einmal erlernen wollen? Wie wäre es mit Kerzenzieher? Ja, die Ausbildung gibt es noch, wenn auch nur in Bayern (wo sonst). Sobald die nächste Energiekrise kommt und der Strom ausfällt, heißt es schnell wieder: bei den Kerzenziehern herrscht Fachkräftemangel.

Die jahrzehntealte Ziehmaschine ermöglicht auch die Herstellung großer Kerzen.

Sowohl Hamacher Senior, den ich später noch im Kontor treffe, als auch Hamacher Junior mussten nicht in die Fremde, um Kerzenzieher zu werden, sie haben dieses Handwerk, mit all seinen Finessen, von der Pike auf in der Familie gelernt, weitergeben von Generation zu Generation.

Sie denken vielleicht: Kerzenmachen, das kann doch so schwer nicht sein. Von wegen! Die frischgezogenen Kerzen müssen noch in die Stutz- und Köpf-Maschine (die ebenfalls schon seit 1950 stutzt und köpft), oder noch auf Kaliber 40 aufgearbeitet werden (durch weiteres Übergießen – per Hand! – mit flüssigem, 60 Grad warmem Wachs). Manchmal muss das Wachs noch gefärbt werden, auch das dann per manueller Pigmentzugabe. Oder es wird eine Charge von bis zu 190 Kerzen auf einmal durch Tauchverfahren, also durch Aufhängen am Tauch-Karussell, hergestellt. Und dabei sind wir noch nicht einmal bei den ganz großen Oschis, den Osterkerzen, die in eigens hierfür gemachten Vorrichtungen gegossen werden. Und so eine Osterkerze bleibt ja nicht einfach weiß. Fünf Dutzend verschiedene Gestaltungsmotive allein für Ostern 2023 bietet Hamacher an, selbst entworfen. Auf etliche der Modelle wird die Verzierung ebenfalls von Hand …äh, draufgewachst? Also dass ich nun gleich alle Fachausdrücke behalten habe, kann kein Mensch von mir verlangen.

Hamacher Sr. präsentiert eine Osterkerze als Ergebnis der aufwändigen Handarbeit.

Sehr schön sind auch die zum Teil individuell gestalteten Kommunionskerzen, mit dem Namen des jeweiligen Kommunionskindes drauf. Natürlich kann ich mir die ketzerische Bemerkung nicht verkneifen, dass der Kommunionskerzensektor doch sicherlich kein klassischer Wachstumsmarkt sei. Aber da belehrt mich Alexandra Dingert, die die Kerzenmanufaktur gemeinsam mit ihrem Mann, Markus Hamacher betreibt, eines Besseren. In letzter Zeit gewinnen gerade die kunstvoll gestalteten Kommunions-, Tauf- und Hochzeitskerzen immer mehr an Beliebtheit. Selbstverständlich bilden die Kirchen bzw. Kirchengemeinden der Region den wichtigsten Kundenstamm, aber zusehends finden auch Privatkunden den Weg durch den Torbogen in der Thebäerstraße.

Ach so, falls auch Sie ins Home-Weihrauching einsteigen wollen, sind Sie ebenfalls bei Hamacher goldrichtig. Weihrauch ist ja eigentlich für die Kirche und nicht fürs Wohnzimmer gedacht, aber „wer’s verträgt“ zwinkert Hamacher Sr. mir zu, „warum nicht auch für zuhause.“ Da ich privat keine Räume der Größe zumindest von einer ordentlichen Dom-Seitenkapelle habe, rät Frau Dingert mir klug zu einer Weihrauchvariante mit nicht zu hohem Parfüm-Gehalt, und gibt mir zum Erhitzen der Weihrauchstückchen ein kleines Stövchen mit. Wie der Backes Herrmann habe ich jetzt immer einen Vorrat von der Sorte ‚Oman‘ zuhause, die ist ganz ‚plain‘, ohne Parfümgedöns. Bestimmt hatte der olle Balthasar von den Heiligen Drei Königen genau die Sorte mitgebracht, und ich stelle mir vor, dass es im Stall von Bethlehem ganz wunderbar roch, trotz Ochs und Esel.

Auch wer sich einmal beweihräuchern lassen will, findet in der Kerzenmanufaktur das Mittel zum Zweck.

Ich kaufe einen 8er-Pack Kerzen für Herrmanns Candlelight-Dinner. Und für mich gleich einen Pack mit. Dabei erlebe ich die nächste Überraschung: „Wow, toller Verpackungs-Karton“, stelle ich fest, „hervorragend auf Retro getrimmt.“ Die Verpackung sieht aus, als sei sie hundert Jahre alt, und wie sich herausstellt, ist sie das auch. Also nicht nur das Design, sondern auch das Material. Die Hamachers haben noch eine Menge Kartons gefunden, die von ca. 1929/1930 stammen. Sowas wird hier nicht weggeworfen, sondern verwendet. Das ist gelebte Nachhaltigkeit. Das Design ist obendrein ein Renner. Die Kunden lieben die originalverpackten ‚Allerwelt-Kerzen‘. Ich weiß allerdings nicht genau, wie ich mir das mit den alten Packungen konkret vorstellen soll: Hamacher Jr. hebt zufällig ein paar Paraffin- oder Bienenwachsplatten hoch, entdeckt darunter ‚Milljuuhnen‘ Verpackungsschachteln und erinnert sich: ‚Mensch, die hat der Uropa doch gesucht, vor 93 Jahren.‘ Wie etliche andere Kunden freue ich mich über das zum Glück eigenwillige Wegwerfmanagement dieses Familienunternehmens und kaufe gleich noch eine weitere Packung. Hamacher-Kerzen in fast 100jähriger Originalverpackung kommen als Geschenk immer gut an.

Vintage-Verpackung oder kleine Kunstwerke – die Auswahl der Kerzenmanufaktur ist groß.

Also, machen Sie es wie ich, kaufen Sie nur noch per Hand gezogene, getauchte oder gegossene Kerzen ‚Made in Trier‘, die Qualität ist hervorragend – da tropft und da rußt nichts unnötig, und ich habe den Eindruck, die Flamme einer Hamacher-Kerze leuchtet noch wärmer und schöner, als alles maschinell Gepresste. Das ist nicht einfach ‚Candlelight‘, das ist wunderbar altmodischer Kerzenschein.

Bild zeigt Frank P. Meyer mit blauem Hemd und dunkelbraunem Sakko von vorne.
Frank P. Meyer

Zur Person

Frank P. Meyer, Saarländer, Jahrgang 1962, ist Studienberater an der Universität Trier sowie Autor von bisher 8 Büchern (vier Romane sowie Sammlungen von Erzählungen und Kolumnen). Als Trierer Stadtschreiber 2012 begann er, Kolumnen zu schreiben. Inzwischen hat er an die 100 Kolumnen veröffentlicht. Dabei erkundet der „Meyer Frank“ seine Wahlheimat Trier aus seiner sehr eigenwilligen Perspektive.

Foto: Elke Janssen

Zur Blog-Reihe

Eigentlich kennt Wahl-Trierer Frank Meyer die Stadt wie seine Westentasche. Trotzdem ist der gebürtige Saarländer regelmäßig „Lost in Trier“. Allerdings im besten Sinne: Für seine Leserinnen und Leser erkundet er das Kuriose, Liebenswürdige, Kaum-zu-Glaubende, Charakteristische, Alltägliche und Außergewöhnliche dieser Stadt. Wir sind zugegebenermaßen ein bisschen stolz darauf, dass Frank seine Kolumnen, die in Buchform bereits tausende begeistert haben, ab sofort einmal im Monat tastenfrisch bei uns veröffentlicht. Noch nie waren wir so gerne „lost“ wie mit ihm!

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