Über Trier-West in den Himmel

604 Stufen führen im Trierer Westen dem Himmel entgegen. Für seine neueste Kolumne hat Frank P. Meyer sich auf die Himmelsleiter gewagt, lokale Prominenz getroffen und wurde am Ende köstlich für den steilen Aufstieg belohnt.

Sie haben einen nagelneuen Herzschrittmacher und wollen testen, ob der auch was taugt? Dann auf nach Trier-West. Hier wartet eine echte Herausforderung auf Abenteuerlustige: Die Himmelsleiter. Und mein Kumpel, der Backes Herrmann, hat mich überredet, ebendiese zu erklimmen.

Der Anblick der Stufen lässt bereits erahnen, dass der Aufstieg es durchaus in sich hat.

Zunächst die Fakten: Der berühmt-berüchtigte Fußweg, der vom Trierweilerweg im Stadtteil Trier-West hinauf zur Markuskapelle führt, überwindet in 604 Treppenstufen insgesamt 177 Höhenmeter mit einer durchschnittlichen Steigung von 30 Prozent. Wer mit solchen Zahlen nichts anfangen kann: Damit ist die Himmelsleiter das Alpe d’Huez der Aussichtspunktaufstiege, nur eben mit Treppen statt Serpentinen, und mit dem Rad kommen Sie da schon gar nicht hoch. Also hinkt der Vergleich mit der Tour-de-France-Königsetappe doch ein wenig. Vielleicht werden die Dimensionen hierdurch deutlicher: Einer der höchsten Maya-Tempel, die Pyramide von Kululcàn, zählt gerade einmal 365 Stufen, ist also verglichen mit dem Aufstieg zum Markusberg etwas für Himmelsstürmer-Einsteiger. Selbst der Kölner Dom, bis in dessen Turmspitze man läppische 533 Stufen überwindet, ist allenfalls als besseres Trainingsterrain für Spaziergänge in Trier-West einzustufen.

Als geschulter Katholik denken Sie bei ‚Himmelsleiter‘ natürlich an Jakobs Traum, in dem Engel über eine Leiter zwischen Himmel und Erde auf- und absteigen. Anders als bei 1. Mose 28, begegnet man auf der Trierer Himmelsleiter jedoch nicht Himmelsboten, sondern anderen Verrückten, die ebenfalls auf Idee kommen, den ultimativen Herz-Kreislauf-Test zu machen. Diese anderen Verrückten kommen uns von oben entgegen, also die Treppe runter. Die haben‘s schon hinter sich und sind entsprechend gut gelaunt. Als sie uns so etwa bei Stufe 107 passieren, rufen sie uns ein mutmachendes „in zwei Stunden seid ihr oben“ zu. Die Spaziergänger-Gruppe, sechs Männer in den besten Jahren, sprechen mit ausgeprägtem Trierer Akzent. Wahrscheinlich sind sie per Bus hinter der Mariensäule entlang hochgefahren, haben im Gasthaus Zur Schönen Aussicht eine Stärkung zu sich genommen und trotten jetzt gemütlich die 600 Stufen hinunter. Bestimmt machen sie das regelmäßig, einfach um sich über die heraufächzenden Himmelsleiterkletterer zu amüsieren.

Er stammt aus Trier-West und verfügt somit offensichtlich über das Himmelsleiter-Gen.

Frank P. Meyer

Immerhin überholt uns beim Aufstieg niemand. Überhaupt begegnen wir nur wenigen Leuten. Nicht einmal auf die bei Trier-Spaziergängen sonst unvermeidlichen Saar- oder Holländer, die genetisch fürs Überwinden solcher irren Steigungen ja auch gar nicht vorgesehen sind, stoßen wir. Dafür aber treffen wir, gleich beim Basislager oberhalb der ersten Treppenstufen, den Ortsvorsteher von Trier-West/Pallien, Marc Borkam. ‚Was für ein Zufall‘, denken Sie jetzt vielleicht, ‚macht der Ortsvorsteher etwa regelmäßig Kontrollgänge und steigt, den Engeln der Jakobsgeschichte gleich, täglich die Himmelsleiter rauf und runter?‘ Natürlich nicht. Wir treffen den Borkams Marc auf der Himmelsleiter, weil wir uns dort mit ihm verabredet haben. Wieso? Um von unserem Aufstieg spektakuläre Beweisfotos mit Lokalprominenz vorweisen zu können, natürlich.

Wie sich herausstellt, bewegt sich der Ortsvorsteher auf der steilen Treppe in seinem natürlichen Habitat. Im Gegensatz zu uns springt er die Stufen hinauf wie ein junges Reh. Er stammt aus Trier-West und verfügt somit offensichtlich über das Himmelsleiter-Gen.

Der Backes Herrmann hat ein paar ‚Klappschmieren‘ und einen ‚Tee mit Schuss‘ für den Aufstieg eingepackt. Als das Zwischenlager – die einladende Holzbank in Höhe des ehemaligen Hettinger-Hauses – erreicht ist, haben wir ca. 281 Stufen geschafft und uns damit ein Käsebrot plus einen wunderbar nach Rum riechenden Tee verdient, bzw. wie sich herausstellt handelt es sich bei Herrmanns Mischung eher um leicht nach Tee riechenden Rum.

Mit dem richtigen Proviant lässt sich selbst die Himmelsleiter bezwingen.

Ungefähr bei Stufe 324 legen wir die nächste Pause ein, diesmal ohne Bank, es sind ja genug Stufen zum Draufsetzen da. Die Pause ist der Atemnot – vornehmlich meiner – geschuldet, aber als positiven Nebeneffekt beschert uns die Pause einen herrlichen Blick auf Trier-West, unter anderem auf die Kurfürst-Balduin-Schule und das ehemalige Eisenbahnausbesserungswerk.

Bei Treppenstufe 395 (bei der Kululcàn-Pyramide wären wir jetzt längst oben) ist Herrmanns Rum-mit-Tee alle, was die weitere Challenge nicht einfacher macht. Bei Stufe 472 bin ich gefühlt schon so hoch geklettert, dass ich mich insgeheim nach einem Gletscher umschaue.

Genau genommen befindet sich das Ziel zwar auf dem Markusberg, der Aufstieg durch die ‚Wand‘, die vor Jahrzehnten einmal als ‚Trierer Schweiz‘ ein populäres Ausflugsziel war, streift auch die Ausläufer des berüchtigten Pulsbergs, der vermutlich so heißt, weil man beim Erklimmen desselben tüchtig Puls kriegt und ordentlich Blutdruck. Macht der Herzschrittmacher bis hierher keine Mucken, taugt er tatsächlich was.

Damit auch der Rest des Aufstiegs gelingt, gönnen sich Frank Meyer und Marc Borkam noch eine Pause.

Bei Stufe 550 kann man schon die Markuskapelle sehen. Das motiviert zwar zum Endspurt, wir gönnen uns, obwohl die Vorräte längst aufgezehrt sind, eine weitere Pause. Der Backes Herrmann ist im Grunde ein vernünftiger Kerl und meint, es mache keinen Sinn, zwischen Stufe 598 und 604 einen Schwächeanfall zu erleiden und mehrere Stufen zurückzutaumeln.

Schließlich schaffen wir, angefeuert von Ortsvorsteher Borkam, die letzten Stufen und stehen vor der Markuskapelle. Es wäre übertrieben zu behaupten, diese entschädige optisch für die unsäglichen Mühen des Aufstiegs. Zumindest für ihr Äußeres trifft das nicht zu. Es lohnt sich jedoch, einen Blick in die Kapelle zu werfen, denn im Inneren entwickelt das neugotische Bauwerk seinen eigentlichen Charme. Vor allem aber sollte man zur Rückseite der Kapelle gehen, denn von dort ist die Aussicht auf Trier einfach fantastisch.

Nach 604 steinigen Stufen entlohnt der Ausblick über die Stadt für die Mühen.

Am oberen Ende der Himmelsleiter angekommen, könnten wir einen Abstecher zur Heiligen Maria machen, die wenige Hundert Meter weiter nordöstlich auf ihrer Säule überm Pulsberg steht. Wir wenden uns jedoch zielsicher gen Südwesten, wo eine noch größere, wohlverdiente Selbstbelohnung wartet: das Café Mohrenkopf. Gefühlt haben wir beim Aufstieg 5.000 Kalorien verbrannt, die wieder aufgefüllt werden wollen. Von der Markuskapelle zum Café sind es nur wenige Minuten, treppenstufenfrei! Das Café Mohrenkopf heißt übrigens so nach dem Flurnamen der Bergkuppe (einem ehemaligen Hoch-Moor), an der es sich befindet. Das Café hat also einen geografisch motivierten Namen … zumindest noch so lange, bis die alte Bergkuppe politisch korrekt in Schaumkuss-Erhebung umbenannt wird.

Während am Ende der biblischen Himmelsleiter Petrus mit dem Schlüssel zur Himmelspforte wartet, erwartet uns im Mohrenkopf etwas noch Lohnenderes: Kaffee und Kuchen mit Moselblick. Der Kuchen ist selbstgebacken. Ich nehme den Käsekuchen, der Herrmann und der Ortsvorsteher probieren sich durch den Rest der Kuchentheke.

Wahrlich verdient: ein köstliches Stück Kuchen nach dem Erklimmen der Himmelsleiter.

Ja, die über 600 Treppenstufen tragen ihren Namen zurecht, denn hier oben angekommen fühlen wir uns: einfach himmlisch.

Bild zeigt Frank P. Meyer mit blauem Hemd und dunkelbraunem Sakko von vorne.
Frank P. Meyer

Zur Person

Frank P. Meyer, Saarländer, Jahrgang 1962, ist Studienberater an der Universität Trier sowie Autor von bisher 8 Büchern (vier Romane sowie Sammlungen von Erzählungen und Kolumnen). Als Trierer Stadtschreiber 2012 begann er, Kolumnen zu schreiben. Inzwischen hat er an die 100 Kolumnen veröffentlicht. Dabei erkundet der „Meyer Frank“ seine Wahlheimat Trier aus seiner sehr eigenwilligen Perspektive.

Foto: Elke Janssen

Zur Blog-Reihe

Eigentlich kennt Wahl-Trierer Frank Meyer die Stadt wie seine Westentasche. Trotzdem ist der gebürtige Saarländer regelmäßig „Lost in Trier“. Allerdings im besten Sinne: Für seine Leserinnen und Leser erkundet er das Kuriose, Liebenswürdige, Kaum-zu-Glaubende, Charakteristische, Alltägliche und Außergewöhnliche dieser Stadt. Wir sind zugegebenermaßen ein bisschen stolz darauf, dass Frank seine Kolumnen, die in Buchform bereits tausende begeistert haben, ab sofort einmal im Monat tastenfrisch bei uns veröffentlicht. Noch nie waren wir so gerne „lost“ wie mit ihm!

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2 Kommentare

  1. Lieber Herr Meyer,
    als Trier-Fan kam ich nicht umhin anzumerken, dass in Ihrem Artikel der „Mariathlon“ fehlt. Jene Tradition , die unsere inzwischen erwachsene Kinder und Ihre Freunde seit der Oberstufe pflegen. Zwei Gruppen machen sich jeweils mit einer Kiste Stubbies auf der Himmelsleiter zur Mariensäule auf. Wer oben als Erster mit leergetrunkener Kiste (ob oben oder unterwegs getrunken) steht (nicht liegt) hat gewonnen und hält den Pokal bis zum nächsten Jahr…🍻

    1. @marisombra: Ganz ehrlich: Der Mariathlon ist einer meiner Trierer Lieblings-Events – war selber einmal dabei … das ist aber schon verdammt lange her 🙂
      In dem Himmelsleiter-Beitrag wollte ich mich ganz auf das Erlebnis meines „Aufstiegs“ von Trier-West zum Café Mohrenkopf konzentrieren und nicht noch extra den Mariathlon erwähnen – den habe ich übrigens in einem meiner Romane ein sehr ausgiebiges Kapitel gewidmet (= in „Normal passiert da nicht“ – das ist der Roman, in dem auch die Tierer Uni-Mensa überfallen wird).
      Falls Sie selbst mal am Mariathlon teilnehmen wollen, wünsche ich: Hals- und Beinbruch. Liebe Grüße, der Meyer Frank (Grüße auch vom Backes Herrmann).

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