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Ich habe den Braten gerochen

Ich habe den Braten gerochen

Was kommt eigentlich dabei heraus, wenn 25 Männer einmal im Monat zusammenkommen und sich dabei alles um den Spießbraten dreht? Frank Meyer hat den „Spießbraten-Club Trier 1905“ besucht, um genau das herauszufinden und natürlich auch etwas von dem aufwendig zubereiteten Gericht zu probieren.

Anno 1905 wurde einer der glorreichsten Trierer Vereine gegründet. Nein, ich meine nicht die Eintracht Trier, ich sagte doch ‚glorreich‘. Außerdem reden wir, streng genommen, nicht von einem Verein, sondern von einem Club, dem Spießbraten-Club Trier 1905. Der hat gut zwei Dutzend Mitglieder, die alle zusammen den Vorstand bilden, alle bis auf einen, nämlich Jürgen. Jürgen Weisgerber ist das einzige Mitglied und wird von den 24 Vorstandsmitgliedern segensreich verwaltet. Jürgen kommt dabei die unentbehrliche Aufgabe zu, einmal im Jahr den Vorstand zu entlasten und ihn dann wiederzuwählen. Sie ahnen schon, der Spießbratenclub nimmt sich selbst nicht gerade bierernst.

Im Folgenden soll es nicht (nur) um Jürgen gehen, sondern vor allem um Günter und Christian, zwei (Vorstands-)Mitglieder bzw. Sippenbrüder, um in der clubinternen Terminologie zu bleiben. Günter und Christian sind an dem neblig-kalten Novemberabend, an dem ich vom Spießbratenclub eingeladen bin, an der Reihe, Rollbraten samt Soße für den Clubabend zu kredenzen.

Ein besonderer Abend – Frank Meyer darf einem Treffen des Spießbratenclubs beiwohnen.

Jeden ersten Montag eines Monats trifft sich der Club im Weinhaus Beckers zu seinem Hauptzweck, nämlich dem Verzehr eines hochwertigen Rollbratens, der übrigens mit reichlich Olewiger Wein vor- und nachgespült wird. Jedes Mal sind zwei andere Clubmitglieder mit der Aufgabe des Bratendrehens betraut, bei 24 Sippenbrüdern und 12 Montagen kommt also jeder einmal pro Jahr dran. Diesmal sind das eben Günter, der macht den Rollbraten, und Christian, der ist an diesem Abend Soßenchef.

Weinhaus Beckers bedeutet übrigens zunächst, ganz stilecht fürs Grillen, die dortige Garage, denn der Spießbratengrill darf nicht in geschlossenen Räumen betrieben werden, wohl aber bei offenem Garagentor. Günter und Christian (sowie einige andere Clubmitglieder, die den beiden „beratend“ über die Schulter schauen), sind mir gleich sympathisch, denn sie schwärmen von ihrem Gasgrill, als hätten sie einen Mercedes Pullman in der Garage stehen. Vor einigen Jahrzehnten wurde der Rollbraten noch mit Holz gegrillt, aber irgendwann kam die Zeitenwende, und es wurde auf Gas umgestellt. Einige Club-Urgesteine witterten damals Meuterei und Verrat, stimmten aber unvorsichtigerweise einer Blindverkostung zu, und tatsächlich war niemand in der Lage, zwischen dem gas- und dem kohlegegrillten Braten zu unterscheiden.

Der Geschmack kommt sowieso von der perfekt gegrillten Bratenkruste, erklärt Günter, egal ob Gas oder Holz. Der erste Gasgrill war noch selbstgebaut, mit original Mercedes-Scheibenwischermotor als Drehantrieb. Also falls Sie einmal das Risiko eingehen sollten, in Olewig auf offener Straße zu parken, wundern sie sich nicht, wenn danach irgendwelche Ersatzteile an ihrem Auto fehlen (oder fragen sie notfalls beim Spießbratenclub nach, vielleicht hat der sich die entsprechenden Motorteile ja nur ausgeliehen).

Das alte Grillwerk tat „Milljuhnen Jahre“ seinen Dienst, fing kürzlich aber an zu schwächeln und drehte sich nicht mehr so wie es sollte. Seit wenigen Monaten ist der Club jetzt stolzer Besitzer eines nagelneuen Gasgrills, Made in China, eigentlich ein Spanferkelgrill, der mit einem dünneren, filigraneren Spieß spießbratengerecht umgebaut werden musste, damit das Loch in der Bratenmitte nicht zu groß wird (ich habe mir verkniffen nachzufragen, wo sie den passenden Spieß ausgebaut haben).

Der neue Gasgrill des Clubs in Aktion.

Als ich dazustoße, sind Christian und Günter schon seit Stunden in der Garage zu Gange, ich erlebe also nur die Endphase der Zubereitung mit, und die entpuppt sich als spannender als manche Schlussminuten der Eintracht-Spiele in dieser Saison.

Die Soße wurde durch lange Kochzeit bereits von sechseinhalb auf fünf Liter reduziert und kriegt abschießend, durch Beigießen des abgeschöpften Bratensuds, den entscheidenden Pfiff. Was ebenfalls tüchtig reduziert wird, ist, wie sich im Laufe des Abends herausstellt, Beckers Weinvorrat. Getrunken wird zum Rollbraten Weißwein, übergossen aber wird das gut ein Meter lange Fleischkunstwerk zunächst mit Rotwein und zum Schluss mit Cognac. In dieser Phase wirken Günter und Christian doch etwas angespannt. Klar, die letzte  Flämmphase gibt dem Braten bzw. dessen Kruste die entscheidenden Aromen.

Spektakulär – die Flämmphase.

Schließlich können Braten und Soße rüber in die Weinstube getragen werden, und Sippenvater Rudy Hellgrewe ruft zum Verzehr auf. An dieser Stelle muss gesagt werden, dass es schwieriger ist, Mitglied im Spießbratenclub zu werden, als einen Sitz im Englischen Oberhaus zu erlangen. Die Clubstärke darf höchstens zwei Dutzend Männer betragen. Handverlesen aufgefüllt wird immer erst, wenn ein Sippenbruder verstirbt. Und ja, der Club ist ausschließlich Männern vorbehalten, Frauen sind nicht zugelassen. Ob das laut UN-Menschenrechts-Konvention überhaupt erlaubt ist, bleibt dahingestellt, ich sehe aber durchaus, dass speziell für diesen Club einiges dafürspricht, dass die Männer hier unter sich bleiben. Großen Schaden anrichten können die Sippenbrüder dabei nicht, sie richten ja nur Spießbraten mit Soße an. Beides zusammen wird pur serviert, ohne jeglichen weiteren Beilagen-Schnickschnack: kein Gemüse, kein Salat (den braucht man nicht, denn es kommen ja, wie gesagt, sowieso keine Frauen zum Essen). Es gibt nur Braten mit Soße und, wer will, ein Scheibchen Bort zum Soße dippen dazu. Urwüchsiger geht es nicht

Die Nervosität bei Günter und Christian steigt, denn Braten und Soße müssen abschließend noch bewertet werden. Zunächst wird der Spießbraten selbst in Bewertungsreden zweier Sippenbrüder überschwänglich gelobt. Saucier Christian muss sich um die Beurteilung seiner creation schon eher sorgen, denn Jürgen bekommt kurz zuvor bei der Soßen-Purverkostung aufgrund des recht feurigen Soßen-Abgangs einen Hustenanfall, und es verheißt nichts Gutes wenn Jürgen von der Soße husten muss. Aber auch hier fällt die Soßenbewertung, nicht zuletzt gerade wegen des ‚scharfen Abgangs auf der Hinter- und dem süßlichen Aroma auf der Vorderzunge‘ sehr positiv aus. Nur an der Konsistenz der Soße wird herumgenörgelt: sie hätte eine Spur dicker ausfallen dürfen, meint der einzige Saarländer im Club (der auch noch Honecker heißt, clubintern jedoch nur „das Züngelchen“ genannt wird).

Im Verein ist die Spießbraten-Verkostung ist eine ernstzunehmende Angelegenheit.

Schließlich adelt auch Sippenbruder Jürgen den Braten, den 11. des Jahres 2022, mit dem Urteil: „D‘n Braten äss so zoart, da hätt‘ ich die Zähn‘ daheim lassen können, den könnste auch off d‘n Felgen kauen.“

Zur Verdauung werden abschießend noch ein paar Witze vorgetragen (und zwar höchstem Stand-Up-Comedy-Niveau!), vom Sippenvater eine kurze Rede gehalten (in der wiederholt darauf verwiesen wird, man könne dies oder jenes ja in der ungeschriebenen Club-Satzung nachlesen), und der offizielle Teil endet schließlich im gemeinsamen Singen der Clubhymne.

Eine Zeile dieser Hymne möchte ich gerne aufgreifen: „Darum lebe hoch der Spieß, der mich nach Olewig wies.“

Bild zeigt Frank P. Meyer mit blauem Hemd und dunkelbraunem Sakko von vorne.
Frank P. Meyer

Zur Person

Frank P. Meyer, Saarländer, Jahrgang 1962, ist Studienberater an der Universität Trier sowie Autor von bisher 8 Büchern (vier Romane sowie Sammlungen von Erzählungen und Kolumnen). Als Trierer Stadtschreiber 2012 begann er, Kolumnen zu schreiben. Inzwischen hat er an die 100 Kolumnen veröffentlicht. Dabei erkundet der „Meyer Frank“ seine Wahlheimat Trier aus seiner sehr eigenwilligen Perspektive.

Foto: Elke Janssen

Zur Blog-Reihe

Eigentlich kennt Wahl-Trierer Frank Meyer die Stadt wie seine Westentasche. Trotzdem ist der gebürtige Saarländer regelmäßig „Lost in Trier“. Allerdings im besten Sinne: Für seine Leserinnen und Leser erkundet er das Kuriose, Liebenswürdige, Kaum-zu-Glaubende, Charakteristische, Alltägliche und Außergewöhnliche dieser Stadt. Wir sind zugegebenermaßen ein bisschen stolz darauf, dass Frank seine Kolumnen, die in Buchform bereits tausende begeistert haben, ab sofort einmal im Monat tastenfrisch bei uns veröffentlicht. Noch nie waren wir so gerne „lost“ wie mit ihm!

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