Das Stadtzentrum mit den imposanten Römerbauten und dem malerischen Hauptmarkt ist wohl das erste, was man beim Begriff „Trier“ vor Augen hat. Doch was ist eigentlich mit Ehrang? Frank Meyer hat dem Ortsbezirk für seine Kolumne einen Besuch abgestattet und wurde überrascht – gleich mehrfach.
Falls Sie einmal auf die Idee kommen sollten, einen Ausflug in den Trierer Stadtteil Ehrang zu machen, gebe ich Ihnen einen guten Rat: Planen Sie unbedingt fünf Minuten extra ein!
Neulich fragte mich der Backes Herrmann, ob wir nicht mal einen Rundgang durch den Trierer Stadtteil Ehrang machen sollten. Unvorsichtigerweise fragte ich: „Wieso, gibt’s da denn was zu sehen?“ Das wollte der Herrmann nicht auf sich sitzen lassen. Ein guter Kumpel von ihm, namens Peter, stammt von dort und wohnt auch noch da, also wurde dieser Peter dazu verdonnert, uns Ehrang zu zeigen. ‚Na toll‘, dachte ich, ‚jetzt müssen schon zwei darunter leiden, dass der Backes Herrmann sich Ehrang ansehen will.‘
Ehrik, wie der Stadtteil von den Ureinwohnern genannt wird, hat vor zwei Jahren traurige Berühmtheit dadurch erlangt, dass die Kyll mit dem Zehnfachen ihres sonstigen Wasserstandes durch die Straßen und Häuser lief. Ein Foto davon schaffte es sogar auf die Titelseite des Wall Street Journal. Zumindest im Stadtkern-Bereich sind die Hochwasserschäden inzwischen zu einem großen Teil behoben, etliche Häuser sind nicht nur renoviert sondern liebevoll restauriert worden.
Herrmanns Kumpel Peter macht, was man immer tut, wenn man nicht genau weiß, was man eigentlich zeigen soll: Er nimmt uns auf den offiziellen Stadtrundgang mit, den ‚Historischen Stadtmauerrundgang‘. Der hat 17 Stationen, und allein das zeigt schon, dass es in Ehrang einiges zu sehen gibt. Los geht es vom Peter-Roth-Platz aus, und man folgt einfach den (ähnlich wie Stolpersteine) in den Straßen- oder Bürgersteigbelag eingelassenen Weg-Markierungen. Diese zeigen einen Kirchturm sowie einen angedeutete Stadtmauerring. Und der Trick ist: Die Kirchturmspitze zeigt immer in die Richtung, in der es weitergeht. „Wir folgen einfach immer der Kirchturmspitze“, meint Peter. Bei einem Stadtmauerrundgang hätte ich zwar eher ‚immer an der Wand lang‘ erwartet, aber so streng sieht man das in Ehrang nicht.
Man begegnet der alten Stadtmauer zwar leitmotivartig immer wieder, aber zwischendurch führt der Weg durch kleine Gässchen, ehemalige Stadttore, über kleinere und größere Plätze und an historischen Gebäuden entlang. Mir fällt auf, dass hier an vielen Stellen alte und ganz neue Architektur unmittelbar nebeneinander stehen, und dies meistens recht harmonisch. Stadtführer Peter gelingt es, faszinierende historische Fakten und Sehenswürdigkeiten mit seiner eigenen, persönlichen Geschichte zu verbinden („ich bin damals noch in den Kindergarten dort oben auf dem Hügel gegangen … und hier meine Grundschule – da hat man extra einen Durchbruch durch die Stadtmauer gebrochen, damit wir Schulkinder einen kürzeren Weg haben.“). Und er berichtet, weil er weiß, dass er bei mir damit einen Nerv trifft, dass Ehrang einst, vor noch wenigen Jahrzehnten, über 38 Kneipen verfügte. Die meisten von ihnen gibt es inzwischen nicht mehr, sie verschwanden zusammen mit der Fliesenfabrik Servais-AGROB sowie dem Niedergang anderer wichtiger Industrien, der Mühle, dem Bahnbetriebswerk und dem damit verbundenen Wegfall vieler Arbeitsplätze.
Überall wo er uns hinführt, Sankt-Petert es ordentlich: KiTa Sankt Peter, Grundschule Sankt Peter, und natürlich heißt auch die Ehriker Kirche Sank Peter. Die hat leider, just als wir auf unserem Rundgang dort ankommen, geschlossen. Seit Fünf Minuten. Eigentlich. Ein freundlicher Herr aber, der kurz zuvor in der Eingangspforte den großen Schlüssel umgedreht hat, steigt, den Schlüssel noch in der Hand, die Treppenstufen von St. Peter herab, und erkennt, dass wir uns zielstrebig aufs Kirchenportal zubewegen. Also hält er inne, fragt, ob wir vorgehabt hätten, einen Blick in St. Peter zu werfen, und als wir das traurig bejahen, fragt er: „Also wenn Sie vielleicht fünf Minuten Zeit hätten?“ Die Sankt-Petrus-Pforte wird wieder geöffnet, und aus den versprochenen fünf Minuten wird eine gute halbe Stunde und eine Kirchen-Führung, wie ich sie selten erlebt habe.
Mit reichlich historischem Hintergrundwissen, Faktenreichtum und einer wunderbaren Prise Humor bringt uns der freundliche Mann St. Peter näher, auch dem ohne „Sankt“, also unserem Ehrang-Führer, der so manches über seine Heimat-Kirche auch noch nicht wusste. So hören wir zum Beispiel die Geschichte vom Trierer Bischof Milo, der im 8. Jahrhundert bei einer sonntäglichen (!) Jagd im Wald bei Ehrang von einem Keiler getötet wurde (dem Keiler, der den Sonntagsfrevel so hart strafte, ist ein eigenes, kleines Bodenrelief, eine Art ‚well done‘-Plakette gewidmet. Außerdem erklärt unser Spontan-Führer uns die kunstvoll vom Eingang bis zum Altar eingebauten Keramik-Verzierungen (= vom Sündenfall bis zur Erlösung) und erläutert vor allem die verschiedenen bemerkenswerten Kirchenfenster, die vom Nazarenischen Stil bis zu ganz modernen Darstellungen (Maria Empfängnis) reichen. Da könnte mancher mittelprächtige Dom glatt neidisch werden.
Ich hätte gerne öfter solche wunderbaren „fünf Minuten“, wie sie uns jener spontane Kirchenführer – Herr Casel, wie wir dem bescheidenen Mann schließlich entlocken – geschenkt hat. Er ist, wie sich herausstellt, ein Ur-Ehranger, allerdings mit einer aus dem Saarland stammenden Oma, was seine leutselige Umgänglichkeit und angenehme Gesprächigkeit erklärt. Da sieht man mal, wie positiv es sich auswirken kann, wenn Trierer, egal aus welchem Stadtteil, ein wenig saarländisches Erbgut mitgekriegt haben.
Ausklingen lassen wir den Rundgang – niemanden, der sich in Ehrang auskennt, wir dies überraschen – im Restaurant „Zur Kanzel“. Dessen Innenausstattung versprüht mehr als nur einen Hauch vergangener Jahrzehnte. Das dürfen Sie bitte unbedingt positiv verstehen, denn auch das Essen in der Kanzel hat eindeutig etwas von Sonntagsessen bei meiner Oma oder von Gasthausfeiern in den 60ern und 70ern, und zwar qualitativ wie quantitativ. Herrmanns Kumpel Peter, der sich damit schon fast eine Seligsprechung verdient hätte, empfiehlt den hausgemachten Hackbraten. Ich hätte gar nicht geglaubt, dass es den noch irgendwo gibt. Und ebenfalls nicht geglaubt hätte ich, dass ich – nachdem wir Herrmanns verrückten Vorschlag in die Tat umsetzten, einen Nachmittag in Ehrang zu verbringen – mit meiner Feststellung enden würde: „Also hier will ich bald nochmal hin!“
Schöner Artikel!
Im alten Ehranger Bahnhof habe ich Aussiedlerkindern aus Russland Englischunterricht gegeben. Die mussten neben Deutsch nämlich auch Englisch in der Schule lernen, das war nicht einfach. Heute kommen Flüchtlinge nach Trier-Nord, ob sie dort auch so gut integriert sind?
Die Waldbreitbacher Schwestern, die sich in Ehrang schon zu Beginn des 20. Jht. niedergelassen haben, um den dortigen jungen Arbeiterinnen der Fabrik zu helfen, waren schon immer volksnah und ganz und gar nicht weltfremd. Es entstand ein Krankenhaus, eine Krankenpflegeschule und ein Kindergarten. Das Marienkrankenhaus blieb fortschrittlich, dort war der einzige Ort in dem es im katholischen Trier die „Pille danach“ im Notfall gab. Und das erste Trierer Krankenhaus, das Still- und Laktationsberaterinnen ausbilden liess, Aromatherapie und Akupunktur im Kreissaal anbot so wie eine Geburtsbadewanne und ein „Elternzimmer“ einbauen liess. Auch die Kindergärten waren fortschrittlich. St. Peter setzte Montessori Pädagogik ein und Haus Tobias im Bedienstetenhaus des Quinter Schlosses war integrativer Kindergarten mit Schwerpunkt Hörbehinderungen und auch Waldkindergarten.
Tolle Menschen wohnen und arbeiteten da, die ohne grosses Aufsehen Grosses geleistet haben…
All dem hier Gesagten kann ich nur aus vollem Herzen zustimmen. Insbesondere das mit dem saarländischen Erbe, denn als solcher im Trierer Exil durfte ich vier leider viel zu kurze Jahre der Pastor dieses traditionsreichen und zugleich bunten Ortes sein. Die Lebensarten harmonieren ganz wunderbar, nur dass es das Saargebiet (!) nun schon seit fast 70 Jahren nicht mehr gibt, war manchem Ehriker nicht beizubringen. Aber was soll’s. Ehrang ist lebens- und liebenswert und immer einen Besuch wert.
Sehr schöner Bericht über Ehrang
Ehrang ein schlafender Riese in der Natur.
Das offizielle Tor zur Eifel.
Egal wo man in Ehrang wohnt man hat immer einen tollen Blick in allen Richtungen auf ein großes Waldgebiet.
„Wald des Jahres 2012 in Deutschland“
Zwei Flüsse die Kyll und die Mosel gehören dazu.
Wander und Radwege soweit das Auge reicht.
Zum Beispiel Eifel und Moselsteig kreuzen sich hier in Ehrang.
Leider hat noch niemand dieses Potential ausgeshöpft.
Direkt am Radweg der Kyll steht eine alte verlassene Villa, die man in ein Radlerhotel mit Außengastronomie umfunktionieren könnte.
Innerorts könnte man ein Cafe mit Konditorei instalieren.
Als absoluter Ur-Ehranger weiß ich was es alles mal gegeben hat, z.B. Kinos-Tanzsäle-Disco und jede Menge Gastronomie.
Ehrang war ein Anlaufpunkt aus allen möglichen Orten der Umgebung.
Das man diese Zeit so in der Form nicht mehr zurückholen kann ist verständlich.
Aber es müsste möglich sein nach den heutigen Bedürfnissen das ganze wieder zu beleben.
Vielleicht traut sich ja mal jemand den „Riesen zu wecken.