Stadtkolumne "Lost in Trier"

Das hat Sti(e)l

Das hat Sti(e)l

Wer denkt, Quidditch sei kein Sport für Muggel, wird von den Trierer Thunderbirds eines Besseren belehrt. Frank P. Meyer hat herausgefunden, wie der Sport aus den Harry-Potter-Büchern und -Filmen auch ohne fliegende Besen funktioniert. In seiner Kolumne berichtet er, was es mit Bludgern, Keepern und Longshots auf sich hat.

Wenn Sie die magische Seite von Trier entdecken wollen, schauen Sie sich unbedingt ein Quidditchspiel der Thunderbirds Trier im Weißhauswald-Stadion an.

Wer Quidditch spielt, muss stets das Ziel im Blick haben – auch wenn das Stadion groß und das Wetter grau und regnerisch ist.

Sie kennen Quidditch nicht? Wie konnte das passieren? Ist der Harry-Potter-Hype komplett an Ihnen vorbeigegangen? Ich kann hier nicht haarklein erklären, wie Quidditch funktioniert, nur soviel: Zwei 7er-Teams versuchen, Bälle in kreisrunde Tore zu werfen, sich gegenseitig abzuwerfen und den Goldenen Schnatz zu fangen … auf Besenstielen. Fliegenden Besenstielen. So jedenfalls bei Harry Potter. Die Thunderbirds lassen einfach das Fliegen weg (fragen Sie Quidditchspieler nie, ob sie auch fliegen können!), klemmen sich einen Besenstiel (ohne den Bürstenteil dran) zwischen die Beine und stürzen sich in einen Tumult, der eine hochkomplexe Mischung aus Völkerball, Rugby, Handball und unbeschwertem Austoben ist.

Nachdem ich an einem verregneten Sonntagmorgen im Waldstadion ein Ligaspiel gegen die Binger Beasts gesehen und nicht kapiert hatte, warum da mehrere Bälle gleichzeitig im Spiel sind und wo das Gewusel auf dem Platz herkommt, fragte ich Malte, den Trainer der Thunderbirds, und Lisa, eine langjährige Stammspielerin, ob ich zu einem Training kommen darf. Darf ich. Jeder ist willkommen, egal wie alt, welchen Geschlechts oder wie unerfahren darin, einen halbwegs ästhetischen Sprint mit Besenstiel zwischen den Beinen hinzulegen.

Frank Meyer hat sich schon vollständig bei den Thunderbirds integriert. Einzig die Teamfarben stimmen noch nicht ganz.

Wetterbedingt findet das Abendtraining, an dem ich teilnehme, in der Geschwister-Scholl-Turnhalle statt. Es beginnt mit einer Taktikbesprechung. Ohne zu verstehen, was Malte da auf seiner Taktik-Tafel an Magneten hin- und herschiebt, kapiere ich: Das anstehende Spiel gegen die Frankfurt Mainticores wird ein ebenso dramatisches Ereignis, als wenn Gryffindor gegen Slytherin antritt. Malte sagt Sätze wie: „Bei Frankfurt zwei gegen zwei zu spielen ist unser persönlicher Tod“ oder „In der Verteidigung spielen die den Käfig, super kompakt. Bei den Kühlschränken da in der Abwehr ist die einzige Chance: Sich mit zwei oder drei Leuten draufstürzen.“

„Wir müssen auf die Longshots achten“, warnt eine der Spielerinnen. Bob (Quidditch-Spieler seit 2014) bringt die „Schneepflugvariante“ als taktische Finesse ins Spiel. Und Trainer Malte gibt die Anweisung: „Ihr müsst die lange Seite des Drachen herausnehmen.“ Klingt das nicht heroisch? Und poetisch!

Es folgt das Aufwärmtraining mit Musik, danach wird geübt, mit einem zwischen den Beinen eingeklemmten Besenstiel durch die Halle zu flitzen, dabei zugeworfene Bälle zu fangen und weiterzupassen und außerdem darauf zu achten, nicht von einem ‚Bludger‘ abgeworfen zu werden. Das erfordert Akrobatik: Bälle werden im Fallen oder Springen gefangen und geworfen – immer (ich sag’s einfach noch mal) mit festgeklemmtem Besenstiel zwischen den Beinen. Der darf nicht runterfallen, sonst ist man „off-broom“ und muss zur Strafe zurück hinter die Grundlinie (lassen Sie sich nicht von mir beeindrucken, ich übernehme einfach den Quidditch-Jargon und schon klinge ich, als hätte ich das Spiel verstanden).

Die Thunderbirds machen vor, dass Quidditch kein Sport zum Ausruhen ist.

Dann probiere ich selbst einmal das Laufen mit einklemmten Besenstiel. Nur das Laufen, bei allem anderen (Fang-Sprüngen und Weiterpassen im Fallen) würden mir sämtliche Bandscheiben rausspringen.

Das Laufen mit Besenstiel klappt nach kurzer Zeit erstaunlich gut. Beim dritten Mal durch die Halle kann ich sogar zugeworfene Bälle fangen und einigermaßen zielgenau weiterzupassen. Daraufhin gibt man mir zu verstehen, ich könnte bei den Thunderbirds als Chaser/Jäger anfangen – die typische Anfängerposition, bevor man Beater, Keeper oder gar Seeker werden kann. Leider bin ich nicht im Stande, auf das Angebot zu antworten, weil ich nach den Besenstiel-Sprints komplett außer Puste bin.

Beim Training wird viel gelacht. Maltes beeindruckende Mischung aus Ernsthaftigkeit und purer Spielfreude überträgt sich auf die 10 Spielerinnen, die heute dabei sind. Ach so: Gespielt wird in gemischten Teams (weiblich/männlich/divers). Bei einem Ligaspiel dürfen je Team höchstens drei pro Geschlecht dabei sein. Und man braucht tatsächlich „Körpertypen verschiedener Sorten“: von kleiderschrankstabil bis wieselwendig. So bunt und unterschiedlich sich das Team zusammensetzt, so fantasievoll sind auch die Spielerinnen-Namen, die auf den Trikots zu lesen sind: ‚Pumbaa‘, ‚Allrounder‘, oder (mein persönlicher Favorit) ‚Wütender Schnürsenkel‘.

Wer das Spiel beobachtet, merkt schnell: Kreative Namen gehören zum Quidditch genauso dazu wie ausgefeilte taktische Spielzüge.

Und dann ist da noch: der Goldene Schnatz. Der wird von einem neutralen Spieler gespielt, der in Gelb/Gold gekleidet und an dessen Hose hinten eine festgekreppte Socke befestigt ist, mit einem Tennisball drin. Während normale Tore, die man durch die Ringe wirft, 10 Punkte zählen, bringt das Abreißen des Schnatzes 30 Punkte, und dieser Spielzug beendet jedes Spiel automatisch, weswegen der Schnatz erst nach etwa 19 Minuten aufs Feld kommt. Aber ich gehe zu sehr ins Detail.

Tim aus dem Thunderbird-Team jedenfalls übt bei diesem Training ‚Goldener-Schnatz-sein‘. Er selbst sagt, er sei als Schnatz „eher der Runner- als der Fighter-Typ.“ Wenn die Seeker/Sucher der beiden Teams die Tennisballsocke abreißen wollen, gibt’s zwei Möglichkeiten: aktiv gegenhalten (das ähnelt dann dem griechisch-römischen Ringen) oder: abhauen. Thunderbird Tim hat mit konsequentem Weglaufen schon bis zu 11 ½ Minuten seinen Schnatz verteidigt.

Wie auch in der Buch- und Filmvorlage ist der Goldene Schnatz nicht ganz einfach zu fangen, auch wenn er hier „etwas“ größer ist.

Immer noch außer Puste sehe ich von der Turnhallenbank aus zu, wie komplexe Spielzüge eingeübt werden, bin begeistert von Tempo und Ästhetik des Spiels. Denn wenn die Thunderbirds auf ihren Besenstielen rennen, springen, Bälle fangen und werfen ist das fast wie … Fliegen.

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Wer das Spiel auch außerhalb der Harry Potter Filme mal auf dem Bildschirm sehen möchte, kann sich hier einmal ein Spiel der Thunderbirds anschauen.

[Info: Die 2017 gegründeten Thunderbirds Trier sind eine Unterabteilung des Postsportvereins Trier, spielen in der Rheinland-Liga und wurden 2019 Meister dieser Liga. Trainiert wird mittwochs und freitags ab 19 Uhr im Weißhauswald-Stadion. Jede*r ist herzlich eingeladen, mal ins Quidditch-Training reinzuschnuppern.]

Bild zeigt Frank P. Meyer mit blauem Hemd und dunkelbraunem Sakko von vorne.
Frank P. Meyer

Zur Person

Frank P. Meyer, Saarländer, Jahrgang 1962, ist Studienberater an der Universität Trier sowie Autor von bisher 8 Büchern (vier Romane sowie Sammlungen von Erzählungen und Kolumnen). Als Trierer Stadtschreiber 2012 begann er, Kolumnen zu schreiben. Inzwischen hat er an die 100 Kolumnen veröffentlicht. Dabei erkundet der „Meyer Frank“ seine Wahlheimat Trier aus seiner sehr eigenwilligen Perspektive.

Foto: Elke Janssen

Zur Blog-Reihe

Eigentlich kennt Wahl-Trierer Frank Meyer die Stadt wie seine Westentasche. Trotzdem ist der gebürtige Saarländer regelmäßig „Lost in Trier“. Allerdings im besten Sinne: Für seine Leserinnen und Leser erkundet er das Kuriose, Liebenswürdige, Kaum-zu-Glaubende, Charakteristische, Alltägliche und Außergewöhnliche dieser Stadt. Wir sind zugegebenermaßen ein bisschen stolz darauf, dass Frank seine Kolumnen, die in Buchform bereits tausende begeistert haben, ab sofort einmal im Monat tastenfrisch bei uns veröffentlicht. Noch nie waren wir so gerne „lost“ wie mit ihm!

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