„Das Live-Erlebnis ist durch nichts zu ersetzen“

Manfred Langner, Intendant des Theaters Trier und Frank Hoffmann, Intendant des Théâtre National du Luxembourg, erleiden in diesem Jahr Schiffbruch – zumindest auf der Bühne. Bei Shakespeares Komödie „Was ihr wollt“, in der die Protagonistin Viola im fernen Illyrien strandet, arbeiten die beiden Häuser zusammen und werden dabei auch durch prominente Gäste – Selig-Sänger Jan Plewka sowie den Schauspieler*innen Ulrich Gebauer und Jacqueline Macaulay – unterstützt. TTM-Geschäftsführer Norbert Käthler sprach mit den beiden Intendanten über den Reiz grenzüberschreitender Kooperationen, die Macht des Publikums und die Schwäche von Netflix.

Mit Shakespeares „Was ihr wollt“ startet in diesem Jahr die offizielle Spielzeit des Theaters Trier, eine Koproduktion mit dem Théâtre National du Luxembourg. War es eine bewusste Entscheidung, die neue Spielzeit mit einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu beginnen?

ML: Irgendwann war es schon eine bewusste Entscheidung. Aber eigentlich sollte dieses Stück schon vor über einem Jahr als Freilichtaufführung rauskommen. Dann kam Corona und wir haben überlegt, ob wir es dann dieses Jahr als Freilicht machen. Das ist erst wenige Wochen her. Aber dann dachten wir, es sei eigentlich die viel bessere Idee, die Spielzeit damit zu eröffnen. Die Pandemie hatte einfach unseren ursprünglichen Plan kaputt gemacht. Aber manchmal entsteht aus etwas Schlechtem eben auch etwas Gutes. Das hier ist jetzt die ideale Lösung.

Worin liegt der Reiz einer gemeinsamen Inszenierung mit einem solch multinationalen Team?

FH: Wenn man in Luxemburg Theater macht, ist fast jede Produktion mit einem multinationalen Team besetzt. Sowohl unsere deutschsprachigen als auch unsere französischsprachigen Produktionen werden von Schauspielern getragen, die mehrere Nationalitäten haben. Luxemburger, Deutsche, Österreicher, Schweizer, Belgier, Franzosen… So auch bei „Was ihr wollt“. Aber davon abgesehen, passt es auch sehr gut zu diesem Stück, in dem Shakespeare immer wieder über Grenzen hinweg geht: Grenzen der Komödie, Grenzen der Tragödie, Grenzen der Geschlechter – da passt es sehr gut, wenn die Menschen aus verschiedenen Nationen kommen.

Probenfoto von „Was ihr wollt“ © Theater Trier

Stoßen da auch verschiedene Theaterphilosophien aufeinander?

FH: Ich habe nicht das Gefühl, dass es eine eigene Welt ist. Natürlich gibt es eine eigene Handschrift, die soll ein Regisseur haben. Aber Philosophie im Sinne ideologischer Auseinandersetzung, das sicherlich nicht. Es gibt jedoch zwischen den beiden Theatern einen großen Unterschied: Trier hat ein Ensemble, Luxemburg nicht. Wir haben mehr eine Theaterfamilie, unsere Schauspieler arbeiten öfter mit uns, aber sie sind nicht wie in Trier fest angestellt.

ML: Ich glaube auch: Es gibt andere Ideen, aber das Entscheidende, was Frank gesagt hat, ist, dass es unterschiedliche Theaterformen gibt mit anderen Rahmenbedingungen. Aber beim Inhaltlichen, Künstlerischen, sind Schauspieler Schauspieler und Regisseure Regisseure.

FH: Ich möchte aber ergänzend betonen, wie gut es geklappt hat, dass sich das Ensemble mit den Gästen vermischt hat und umgekehrt. Das ist, denke ich, ein gutes Zeichen für die künstlerische Qualität aller Darstellern.

ML: Für uns ist das auch eine tolle Gelegenheit, prominente Künstler auf der Bühne zu haben, die wir sonst nicht hätten, wie Jan Plewka oder Ulrich Gebauer. Es gibt hier als auch für Trierer einen sehr spannenden Aspekt.

Wir versuchen nicht dem Publikum nachzulaufen, sondern uns darauf zu verständigen: Was interessiert und alle?

Manfred Langner

Ganz spannend ist ja auch Shakespeares Titel „Was ihr wollt“: Das könnte man auch als Leitsatz für die Erarbeitung eines jeden Spielzeitplans verstehen, etwas umformuliert als „Was wollt ihr denn?“ Etwas überspitzt gefragt: Wonach muss sich ein Spielplan in Ihrem Haus in erster Linie richten, damit das „ihr“ funktioniert und damit das Publikum bekommt, was es will?

ML: Oh, da gibt es mehrere Antworten. Es gibt die eine, dass man künstlerisch, wie es so schön heißt, am Puls der Zeit ist, also Stücke macht, die inhaltlich aktuell und für Trier spannend sind. „Was ihr wollt“ ist zum Beispiel ein Klassiker, der aber auch das Thema der Migration hat. Wir versuchen nicht, dem Publikum nachzulaufen, sondern uns darauf zu verständigen: „Was interessiert uns alle?“
Und die ganz profane Antwort ist natürlich auch: Der Spielplan eines Stadttheaters hat so viele Rahmenbedingungen, dass das hehre Ziel, das zu machen, was uns thematisch auf der Seele liegt, auch nicht immer zu leisten ist: Es geht um Termine, Räume, Geld, Arbeitszeiten und vieles mehr. Da hat man es mit einem privaten Theater einfacher, da bin ich manchmal ein wenig neidisch. Mein persönlicher Geschmack spielt jedenfalls keine Rolle. Ich muss als Intendant das auf den Plan setzen, von dem ich glaube, dass es für das Trierer Publikum gerade interessant, wichtig und spannend ist. Ich bin ein Diener des Publikums.

FH: Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass Du auch Teil des Publikums bist: Es wird dir dann auch gefallen, so selbstlos musst Du nicht sein. Du bist ja der erste Zuschauer.

ML: Das stimmt natürlich. Wenn es jetzt etwas wäre, von dem ich sagen würde „Das finde ich nicht richtig“, das würde ich auch nicht machen. Aber es gibt sicherlich Stücke, die jetzt nicht mein Favorit sind, aber von denen ich weiß, das ist jetzt für Andere wichtig.

FH: Gute Intendanten konnten das immer unterscheiden, das ist richtig. Ich habe viel mit Manfred Beilharz in Kassel und Bonn gearbeitet. Beilharz liebte das Theater, das für viele war. Aber er war klug genug, auch Stücke ins Programm zu nehmen, die eine Aufmerksamkeit auf das Theater gebracht haben, und wo man etwas riskiert hat, so wie es auch hier passiert.

Manfred, gibt es im Theater in dieser Spielzeit Stücke, die gerade jetzt wichtig für Trier oder für die spezielle Situation sind, in der wir uns gerade befinden?

ML: Diese Spielzeit ist „Vögel“ von Wajdi Mouawad ein ganz wichtiges Stück (Anm.: Premiere am 28.05.2022 im Großen Haus): Da geht es um eine Familien-Paarbeziehung über verschiedene Kulturen, Länder, Sprachen, das die Unverständlichkeit untereinander darstellt. Es ist ein Stück, das ich für sehr wichtig halte und das wahnsinnig aktuell ist. Aber ich könnte auch sagen: „Kabale und Liebe“ ist für jedes junge Publikum ein ganz wichtiges Stück.

Darunter habe ich in meiner Schulzeit sehr gelitten (lacht).

ML (schmunzelt): Dann komm zu uns, schaue es dir an, Du wirst nicht leiden und Spaß haben.

Gibt es in Luxemburg in dieser Spielzeit Stücke, die man nicht verpassen sollte?

FH: Das fällt mir schwer, etwas zu nennen, es gibt so vieles. Wir haben eine klein besetzte, aber aufwändige Produktion im November mit David Bennent, „Liberté d’action“ in Deutsch und Französisch – man muss aber nur eine der beiden Sprachen verstehen (Anm.: 11., 12. und 13. November 2021 im Théâtre National du Luxembourg). Es ist sehr interessant und anspruchsvoll.

Das Luxemburger Theater kann nicht ohne Grenzüberschreitung funktionieren.

Frank Hoffmann

Kommen wir einmal auf die Frage, was Theater im Grenzraum tun kann. In den kommenden 18 Monaten startet die TTM eine Kampagne, die auch die Frage aufnimmt, was man tun kann, nachdem die Grenzen verschlossen waren, jetzt zwar wieder auf sind, aber das Trauma noch da ist. Deshalb die Frage an die Kulturschaffenden: Gibt es eine Vision für einen Austausch über die Grenze hinweg, eine Idee, was man machen könnte?

FH: Das hier ist es ja auch schon: Eine große Produktion zusammen zu machen. Die Vorproben im Juni/Juli waren in Luxemburg, jetzt sind sie hier, dann wird das Stück zuerst in Trier gespielt, dann in Luxemburg – das ist schon eine sehr intensive Zusammenarbeit, die so nicht üblich ist. Normalerweise werden die Produktionen an einem Ort hergestellt und dann höchstens am anderen Ort noch gezeigt.

ML: Meine Vision wäre, dass man so etwas häufiger macht. Wir haben „Der Rosenkavalier“ mit Avignon zusammen gemacht, im Ballett werden wir etwas mit italienischen Partnern machen. Ich bin ein überzeugter Europäer und finde, dass man den Leuten jetzt, wo es Abspaltungstendenzen gibt, wo wir den Brexit erleben mussten, zeigt, was Europa bedeutet.

FH: Wir haben in Luxemburg gar keine andere Wahl. Wir sind so klein, dass ich damals, als unser Theater gegründet wurde, gesagt habe, wir müssten es eigentlich „Théâtre International du Luxembourg“ nennen. Das Luxemburger Theater kann nicht ohne Grenzüberschreitung funktionieren.

ML. Da kommt auch noch was. Wir haben schon einige Dinge im Kopf.

„Das kunstseidene Mädchen“ © Theater Trier

Ende Oktober beginnt das „Trierer Unterwelten“-Festival, das die Trier Tourismus und Marketing GmbH federführend für die Stadt Trier durchführt. Hierbei wird es am 13. November die „Lange Nacht der Unterwelten“ geben, an der sich auch das Theater Trier mit einer Adaption von „Das kunstseidene Mädchen“ beteiligt. Kann man da schon sagen, was die Zuschauer*innen erwartet?

ML: „Das kunstseidene Mädchen“ ist ein moderner Klassiker. Anna Pircher spielt in unserer Adaption die Hauptperson Doris und macht daraus auch einen musikalischen Abend, der viel erzählt über die 30er Jahre. Es ist sehr wichtig, dass wir historisch denken, und das ist, finde ich, beim Unterwelten-Festival ganz passend.

Das Live-Erlebnis, die Begegnung von Mensch zu Mensch, die ist durch nichts zu ersetzen.

Manfred Langner

Seh- und Hörgewohnheiten des Publikums haben sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Wenn man das richtige Format findet, wie beispielsweise beim Picknickkonzert des Porta hoch 3-Festivals oder beim „Kulturhafen Zurlauben“, funktioniert das gut, aber gibt es von Seiten der Theater auch Ansätze, solche Dinge weiter zu denken oder sich diesen veränderten Erwartungen anzupassen?

ML: Natürlich ist immer interessant rauszugehen, weil Trier einfach so viele schöne Orte hat wie den wunderbaren Brunnenhof, den wir dank euch, dank der Hilfe der TTM bespielen dürfen. Das wollen wir schon gerne weiter betreiben. Ich finde das auch sehr wesentlich, dass das Theater auf die Menschen zugeht, anstatt darauf zu warten, dass die Menschen ins Theater kommen.

Die Digitalisierung, die wir in der Lockdown-Phase verstärkt erlebt und zum Teil auch selbst gemacht haben, ist, finde ich, ein sehr interessantes Zusatzangebot, aber das wird das Theater niemals ersetzen. Da bin ich ganz guter Dinge. Das Live-Erlebnis, die Begegnung von Mensch zu Mensch, die ist durch nichts zu ersetzen. Deswegen ist das Theater auch krisenfester als beispielsweise das Kino.

FH: Ich glaube, die Krise des Kinos ist noch größer zurzeit als die des Theaters. Wir merken in Luxemburg, dass die Leute sehr schnell ins Theater zurückgekommen sind. Ich glaube, im Kino dauert es sehr viel länger, bis die Leute zurückkommen.

ML: Kino hat eben die Konkurrenz durch Netflix, das sehr teure und aufwändige Produktionen macht.

FH: Was ich sehr schade finde. Ein Kinoerlebnis ist etwas ganz anderes als zu Hause Netflix zu schauen. Aber dennoch ist der Unterschied nicht so groß wie im Theater, das stimmt.

ML: Netflix wird dem Theater nicht so viele Zuschauer wegnehmen wie dem Kino

Es geht gar nicht um verschwindendes Wissen, sondern um das Schwinden der Möglichkeiten, Wissen anzuwenden.

Manfred Langner

Zwei letzte Fragen zum Abschluss: Welches Stück, das Sie noch nie als Regisseur und/oder Dramaturg begleitet haben, möchten Sie unbedingt noch zur Aufführung bringen?

FH: Ich würde gerne „Nach Damaskus“ von August Strindberg inszenieren. Ich habe schon Fassungen gemacht, über den ersten Teil zumindest -, aber das Gesamtstück wäre ein Traum. Strindberg steht für mich am Beginn des modernen Theaters. Er hat viele Autoren, die nach ihm kamen, beeinflusst. Und das Stück wird nie aufgeführt, das ist auch etwas, was mich reizt.

ML: Ich würde gerne ein Stück inszenieren, das es noch nicht gibt, aber das sich mit dem Zustand unserer Welt beschäftigt, in er es meines Erachtens nach in vielen Bereichen eine Nivellierung nach unten gibt, von der Politik bis zur Bildung, zu erleben gibt. Ich weiß allerdings nicht, ob ich diese Nivellierung nur als alter Mann wahrnehme, so wie Waldorf und Stadler von der Muppet Show.

FH: Nein, ich nehme das auch wahr. Man merkt das auch im Rahmen der Bundestagswahl: Sobald ein etwas komplexerer Gedanke kommt, fühlt sich der Moderator verpflichtet, in einfachere Sprache zu übersetzen. Man traut den Leuten gewisse Dinge nicht mehr zu, sie werden verdummt.

ML: Ja, es geht gar nicht um verschwindendes Wissen, sondern um das Schwinden der Möglichkeiten, Wissen anzuwenden. Dass jede Generation ihre eigene Kultur besitzt, das ist wunderbar und spannend. Aber dass bestimmte Texte gar nicht mehr verstanden werden, weil man schon sagen muss: „Nein, wir müssen das einfacher in drei Sätzen erzählen, denn die Leute hören ja gar nicht zu“, das ist ein Problem, das mich beschäftigt. Ich würde eine Figur, die so denkt wie ich, aber auch immer in Frage stellen. Vielleicht hat sie auch einfach die neue Welt nicht verstanden. Ich würde keine Antwort geben wollen. Leider habe ich das Stück nicht.

Und welches Stück würden Sie sich von Ihrem Gegenüber wünschen?

FH: „Who’s Afraid of Virginia Woolf?“ würde zu Dir passen. Stimmt das oder ist das nicht gut?

ML: Das habe ich immer vermieden. (lacht) Da habe ich immer gesagt: Entweder man kennt die Probleme, die die beiden haben, nicht, dann versteht man das Stück nicht, oder man kennt sie zu gut, dann will man nicht reingehen.

Tipp:

Im Porträt von Michael Gubenko erfahrt ihr noch mehr spannendes über die Trierer Theaterszene.

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